(dpa) Die Bevölkerung von sieben
palästinensischen Städten lebt seit Beginn der israelischen Besatzung vor elf Tagen in
einem gigantischen Gefängnis. Etwa 500 000 Menschen im Westjordanland sind praktisch Tag
und Nacht in ihren Wohnungen eingeschlossen. Nur alle drei Tage hebt die Armee die strikte
Ausgangssperre für ein paar
Stunden auf. «Und auch dann wagen sich viele nicht auf die Straße, weil sie fürchten,
erschossen zu werden», klagt der Journalist Maher Abukhater, dessen Familie seit dem 29.
März eingeschlossen ist. In seinem Viertel gibt es seit Beginn der Besatzung keinen
Strom. Tagelang tröpfelte es nur aus den Wasserhähnen, weil Panzer das Leitungssystem
zerstört haben.
In Ramallah ist es inzwischen wieder «relativ ruhig». Doch immer wieder werden die
Menschen auch hier durch Schüsse erschreckt. «Soldaten dringen plötzlich in die Häuser
ein, sprengen die Eingänge zu Wohnungen auf der Suche nach 'Terroristen'», berichtet
Abukhater. «Mein Sohn hat seit einigen Tagen Fieber. Vielleicht ist es auch nur die
versteckte Angst. Aber ich kann ihn wegen der Ausgangssperre nicht zum Arzt bringen.»
Noch
übler dran sind die Menschen in den heftig umkämpften Städten Nablus und Dschenin, wo
sich Soldaten und bewaffnete Palästinenser seit Tagen heftige Feuergefechte liefern.
«Wir wurden in der Nacht immer wieder von Kampfhubschraubern angegriffen» sagt der
palästinensische Abgeordnete Dschamal Schati, der im Lager von Dschenin lebt. «30
Raketen schlugen in den Häusern ein. Wie viele Tote es gegeben hat, wissen wir nicht. Die
Menschen haben panische Angst.»Die Meisten bleiben mit ihrer Angst allein. Nur wer
Nachbarn oder ein Telefon hat, kann der erzwungenen Isolation durch die Israelis
entkommen.
Doch zahllose Telefonverbindungen im Westjordanland sind seit Tagen
unterbrochen. In den Flüchtlingslagern von Dschenin und im Lager Balata (Nablus) können
sich sowieso nur die wenigsten der 35 000 Einwohner den Luxus eines Telefons leisten.
«Eine Freundin von mir hält sich schon seit einer Woche in ihrem Schlafzimmer auf und
kommt nicht einmal raus, wenn die Ausgangssperre für ein paar Stunden aufgehoben wird»,
erzählt Lamis Abu Nachle (51) während der kurzen Unterbrechung der Ausgangssperre in
Ramallah. «Die Panzer stehen direkt vor ihrem Haus, an denen will sie nicht vorbei.
Sie hat kaum noch etwas zu essen und wenn die Israelis nicht bald abziehen, wird sie in
ihrem Bett verhungern.» |
Chalil Abu Arife, Ingenieur in Ramallah, klagt über die kritische
Versorgungslage in politischen «Hauptstadt» des Palästinenserlandes. «Unsere
Lebensmittel gehen zu Ende. Wir ernähren uns noch von Reis, Nudeln und Dosengemüse.»
Die ganze Familie Abu Arife (Eltern und fünf Kinder) schläft im Flur, «weil irgendwo
gegenüber unserem Schlafzimmer ein israelischer Heckenschütze sitzt.»
Viele Menschen sind durch die lange Ausgangssperre und das strikte Militärregime in ihren
Städten auch in erste finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Banken sind seit Ende
März geschlossen. Wem das Geld ausgeht, der ist auf Nachbarschaftshilfe angewiesen.
Lamis Abu Nachle: «Bekannte von mir haben kein Geld mehr, weil sie keinen
Zugang zu Banken haben. Andere haben gar kein Geld mehr, weil sie schon seit Monaten nicht
mehr arbeiten können wegen der israelischen Blockade. In einigen Läden kann man zwar
anschreiben lassen, aber wie lange die das noch machen, weiß auch keiner.»
Kaum jemand weiß in diesen Tagen wirklich, was außerhalb seiner vier Wände vor sich
geht. «Wir telefonieren so viel es geht mit unseren Freunden in Dschenin und in Nablus»,
erzählt die Dozentin. «Außerdem sind wir privilegiert, weil wir Satellitenfernsehen
haben. So können wir wenigstens bei El Dschasira (dem arabischen Nachrichtensender) die
Nachrichten verfolgen.»
Andererseits würden die Menschen durch die schlechten Nachrichten oft auch in tiefe
Depression gestürzt, meint die Dozentin. «Wir erfahren über ausländische Sender
ansatzweise, was um uns herum passiert und fühlen uns dabei so machtlos. Die einzige
positive Nachricht sind die Solidaritätsdemonstrationen in aller Welt. Das macht Mut».
Für andere Menschen aber gibt es in diesen Zeiten keinen Trost mehr. «Mein Mann hat
heute morgen erfahren, dass sein 17-jähriger Neffe in Nablus erschossen wurde», erzählt
die Hausfrau Aschgan Suweidehu: Seither sagt er nichts mehr. Er weint auch nicht. Er wiegt
sich einfach ständig hin und her, raucht nur wie ein Schlot, und ich dringe nicht mehr zu
ihm durch.»
Quelle: Islamische Zeitung
@ Ekrem Yolcu |