Repräsentative Studie zur Lage der Türken in Berlin veröffentlicht

24.01.2002:

Ausländerbeauftragte Barbara John veröffentlicht Umfrage. 80% der Befragten fühlen sich in Berlin wohl - Von Sulaiman Wilms, Potsdam

Eine Umfrage der Berliner Ausländerbeauftragten unter der türkischen Bevölkerung hat eine wachsende Integration der Türken in Berlin festgestellt. Die Umfrage stellte grundsätzlich folgende Punkte fest:
1.Wachsender Wille zur Integration - von Parallelgesellschaft keine Spur
2.Hohe Arbeitslosigkeit und unzureichende Qualifikation sind weiterhin Hauptintegrationshemmnisse.
3.Deutschunterricht hat Priorität und
4. Wunsch nach Respektierung religiöser Bindungen, aber kein Rückzug in religiöse Nebengesellschaft.


Im Auftrag der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats, Barbara John, führte das Meinungsforschungsinstitut inTrend - Gesellschaft für Markt-, Media- und Sozialforschung mbH im November/Dezember 2001 eine Umfrage bei der türkischen Wohnbevölkerung in Berlin durch. Insgesamt wurden 1003 Personen befragt.

Die Grundgesamtheit, aus der diese Personen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, besteht aus der türkischen Wohnbevölkerung ab 18 Jahren, die ihren Wohnsitz in den westlichen und östlichen Bezirken der Stadt gemeldet haben. Die Verteilung über die Bezirke entspricht der Verteilung der türkischen Wohnbevölkerung dieser Altersgruppen.
Schon in den früheren Umfragen zeichnete sich ab, dass sich die türkische Bevölkerung immer stärker auf den Lebensmittelpunkt Berlin hin orientiert, sich als Teil der deutschen Gesellschaft empfindet. Dieser Trend setzt sich auch in der jüngsten Umfrage fort.
Insbesondere die Fragen zum Informationsverhalten, der Mediennutzung, dem Kaufverhalten oder auch zur Bereitschaft, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, belegen das eindeutig.

Ein Gradmesser ist die so genannte „Wohlfühlfrage“. Über 80% der Befragten gibt an, sich in Berlin sehr wohl oder wohl zu fühlen, der Anteil ist kaum niedriger als in einer Umfrage unter der deutschen Wohnbevölkerung aus dem Jahre 1995 und insbesondere der Prozentsatz derjenigen, die sich unwohl fühlen, geht im Vergleichszeitraum zurück, liegt derzeit bei 18%. Nicht ganz so positiv blicken die türkischen Berlinerinnen und Berliner in die Zukunft: Eine Mehrheit von 57% schätzt die eigenen Zukunftsaussichten als sehr gut bis gut ein. Hier unterscheidet sich die türkische Bevölkerung aber nicht wesentlich von der deutschen Bevölkerung Berlins, die 1995 zu 54% zuversichtlich in die Zukunft schaute. Angesichts der beruflich-wirtschaftlichen Situation ist dieser Anteil bemerkenswert hoch. Denn auf die Frage nach der beruflichen Situation gab weniger als die Hälfte der Befragten, nämlich rund 42% an, einen Arbeitsplatz zu haben oder selbstständig tätig zu sein. 21% waren arbeitslos. Diese hohe Arbeitslosenquote hat sich in den Vergleichsjahren kaum verändert und ist nach wie vor eines der größten Integrationshemmnisse. Leicht angestiegen ist der Anteil der Selbstständigen, der sich im Vergleich zu 1993 zwar nicht ganz verdoppelt hat, aber immerhin von 5% auf 9% gestiegen ist.

Und an dieser Stelle konnte die Umfrage auch gleich ein beliebtes Vorurteil ausräumen, nämlich, dass „die Türken“ bei Mädchen eine gute Ausbildung für weniger wichtig hielten: 97% sprechen sich dafür aus, dass Söhne und Töchter die gleichen Möglichkeiten in der Schule und zur Ausbildung erhalten sollten! Ein deutliches Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter.

Auch die Bereitschaft, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, ist nach wie vor groß. Über 20% waren zum Zeitpunkt der Befragung bereits deutsche Staatsbürger; die Hälfte davon hatte weiterhin auch die türkische Staatsangehörigkeit. 43% hatten den Antrag auf Einbürgerung gestellt oder hatten vor, dies zu tun. Fast genau so hoch wie 1999 ist aber der Anteil derjenigen, die diesen Schritt nicht planen, immerhin ein gutes Drittel. Hier ist in Zukunft sicher politisch noch mehr als bisher zu tun, damit die Bereitschaft, sich einbürgern zu lassen, steigt. Das zum Jahresbeginn 2000 novellierte Staatsangehörigkeitsrecht lässt das aber nicht erwarten, denn als Grund für den Rückgang der Einbürgerungen nennen 57% den Wegfall der Doppelstaatsbürgerschaft.

40% begründen den Rückgang bei den Einbürgerungen allerdings auch mit der Einführung der Sprachprüfung, wobei hier sicher viel Unkenntnis darüber besteht, dass dies in der Praxis keine so hohe Hürde ist. Auch nach der Einschätzung der Befragten durch die Interviewer wären die Deutschkenntnisse in der Regel ausreichend, um sich einbürgern zu lassen. Danach hat sich der Sprachstand in den vergangenen Jahren sogar leicht verbessert, denn nach Intervieweinschätzung liegen die Deutschkenntnisse von 77% bei gut bis mittel. Allerdings wird immer noch ein gutes Fünftel als schlecht deutsch sprechend eingeschätzt. Hier liegt neben der hohen Arbeitslosigkeit der türkischen Bevölkerung das zweite große Integrationshemmnis: Keine Überraschung also, dass in der Umfrage der vorher schon überwältigend hohe Anteil, der sich für verpflichtende Sprach- und Integrationskurse ausspricht, noch einmal angewachsen ist und inzwischen bei 95% liegt.
Ein zunehmendes Problem sind die schlechten Deutschkenntnisse gerade der Kinder von Zuwanderern. Sie sind zum großen Teil auch verantwortlich für die schlechten Bildungschancen der Migranten in Deutschland, was gerade die PISA-Studie in erschreckendem Ausmaß bestätigt hat.

Die befragten türkischen Berlinerinnen und Berliner sprechen sich mit deutlicher Mehrheit für Deutschunterricht in Kindertagesstätten aus oder für das Projekt, Eltern, vor allem Müttern, Deutschunterricht zu erteilen.
Die Zuwanderer selbst sind weit stärker in der Realität angekommen, als es manche Klischeebilder glauben machen. Von einem Rückzug in eine ethnische Nische kann jedenfalls nach den Ergebnissen der Umfrage nicht die Rede sein. „Es wird behauptet, dass die türkischen Berliner mehr als früher beim Einkaufen, in der Freizeit, beim Sport und in den Medien Angebote der eigenen Gruppe bevorzugen“ lautete die Frage, und fast 70% sagten, dass dies für sie nicht zutrifft. Ein bemerkenswert hoher Anteil, wenn man bedenkt, wie dicht und gut ausgebaut die „türkische Infrastruktur“ Berlins inzwischen ist, wobei sie natürlich vor allem auch von der nichttürkischen Bevölkerung gern genutzt wird, wenn man an türkische Lebensmittelgeschäfte oder Gemüseläden denkt.

Und wenn behauptet wird, schlechte Deutschkenntnisse wären auf den wachsenden Konsum türkischsprachiger Medien zurück zu führen, dann lässt sich diese These nicht aus der Umfrage ableiten.

Ähnlich wie schon andere Befragungen zur Mediennutzung der türkischen Bevölkerung ergeben haben, zeigt auch die aktuelle Umfrage, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten sich über das Fernsehen informiert, und zwar sowohl über das türkische als auch das deutsche. Danach folgen Zeitungen: Jeweils rund 60% nutzen deutsche Zeitungen und türkische Zeitungen. Türkisches Radio hören 44%, ebenso hoch der Anteil der Zuhörer deutscher Radioprogramme. Diese Zahlen sind bemerkenswert, weil die türkische Wohnbevölkerung als Zuschauer- oder Zuhörergruppe in den deutschsprachigen Medien nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. So findet sich im Fernsehprogramm zwar fast täglich eine Sendung mit volkstümlicher deutscher Musik, aber Sendungen, die beispielsweise die Musikszene der Migranten vorstellen, sucht man vergeblich. Dies bleibt eigenen Programmen vorbehalten, wie dem Radioprogramm von SFB 4 Radio Multikulti. Migranten sind zwar Gebührenzahler, aber in den Medien als gleichberechtigte Konsumenten noch unterrepräsentiert, es sei denn es geht um Themen wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Zuwanderer als Problemgruppe.
Ein wichtiger Teil der Fragen bezog sich auf das Thema Religion. Nicht zuletzt nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 wird das Thema Islam und Gewalt fundamentalistischer Islamisten in der Öffentlichkeit stärker diskutiert. Ein gutes Drittel der Befragten meint, dass die allgemeine Ablehnung von Muslimen und Misstrauen zunehmen. Allerdings sind 54% auch der Ansicht, dass sehr wohl unterschieden wird zwischen friedlichen Muslimen und Terroristen, die sich zu unrecht auf die Religion berufen. Um Misstrauen abzubauen, so meinen 77%, sollten Muslime und Nichtmuslime mehr miteinander ins Gespräch kommen. Annähernd die Waage hält sich der Anteil derjenigen, die hier eher die Nichtmuslime in die Pflicht nehmen und derjenigen, die meinen, dass die Berliner Muslime stärker in die Öffentlichkeit gehen sollten.
Die Mehrheit der türkischen Berlinerinnen und Berliner sind sicher nicht als sehr religiös einzustufen, wenn man dies am regelmäßigen Moscheebesuch ablesen kann. Die meisten Christen sind auch keine regelmäßigen Kirchgänger. Über 60% verneinen die Frage nach dem regelmäßigen Besuch einer Moschee. Allerdings hält sich der Anteil derer, die regelmäßig in die Moschee gehen, bei stabil einem Drittel der Befragten von 1993 bis 2001. Männer sind hier häufiger vertreten als Frauen, das Verhältnis beträgt 43% zu 27%.

Nachdem die Islamische Föderation in Berlin das Recht erstritten hat, an Schulen islamischen Religionsunterricht zu erteilen, war es natürlich interessant zu erfahren, wie die türkischen Berlinerinnen und Berliner dies sehen. Dass islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache an Berlins Schulen erteilt wird, befürwortet eine Mehrheit von 64%, ein Wert, der 1999 ähnlich hoch lag. 28% sind dagegen.

Und über die Hälfte der Befragten, nämlich 53%, würde seine Kinder auch in den Religionsunterricht unter Trägerschaft der Islamischen Föderation schicken. Der Wert bei Befragten mit schulpflichtigen Kindern liegt ähnlich hoch. Aber 38% wollen diesen Unterricht nicht für ihre Kinder.

Insgesamt bestätigt die Umfrage, dass die türkischen Berlinerinnen und Berliner keinen Gegensatz sehen zwischen religiösen Bindungen und einer modernen demokratischen Gesellschaft. Sie legen Wert darauf, dass solche Bindungen auch als selbstverständlich respektiert werden. So halten es 70% für unproblematisch, wenn muslimische Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen. Daraus spricht sicher ein stabiles Selbstbewusstsein zu eigenen religiösen Traditionen. Aber knapp ein Viertel der Befragten hält dies in einem nichtislamischen Land für unangemessen.

Die Umfrage bestätigt deutlich, dass Integration ein lange währender Prozess ist. Er verläuft in kleinen aber messbaren Schritten und deutlich in eine Richtung: weg von der Randständigkeit, mitten hinein in die Gesellschaft. Arbeitslosigkeit, mangelnde Deutschkenntnisse, eine schlechte Qualifizierung sind hartnäckige Hindernisse auf diesem Weg. Hier muss die Politik verstärkt Lösungen anbieten, denn Integrationsprobleme sind keine „Ausländerprobleme“, sie gehen die gesamte Gesellschaft an. 40 Jahre nach Beginn der modernen Zuwanderung ist das türkische Berlin ein selbstverständlicher und anerkannter Teil der Gesellschaft. Und so sehen es auch die türkischen Berlinerinnen und Berliner selbst.

Quelle: Islamische Zeitung

@ Ekrem Yolcu

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