Amerikas Dilemma
Die entzauberte
Weltmacht
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Washingtons Kriegskabinett: Zwei Tage nach Beginn des Irak-Kriegs trifft
sich Präsident Bush in Camp David mit seinem Beraterstab. Zu dieser Zeit
glauben Politiker und Militärs noch an einen schnellen Sieg über Saddam
Hussein
Es ist nur gut anderthalb Wochen her, da glaubten selbst die schärfsten
Kritiker der USA an eines: dass der Krieg der letzten Supermacht gegen
den Irak schnell zu Ende gehen würde. Alle Welt, und mochte sie der
amerikanischen Regierung noch so kritisch gegenüberstehen, hielt
Vizepräsident Dick Cheneys Prognose für möglich: "Nach der Befreiung
wird in den Straßen von Basra und Bagdad große Freude ausbrechen."
Der Krieg war keine drei Tage alt, da starben die ersten GIs bei
Angriffen irakischer Freischärler. Der Vormarsch auf Bagdad erstickte in
Wüstensturm und Nachschubmangel. Hatten die Amerikaner und Briten im
ersten Golfkrieg 1245 irakische Panzer zerstört und selbst keinen
einzigen verloren, waren bereits zwei M1 "Abrams", "die besten Panzer
der Welt", von Irakern vernichtet worden. Und Generalleutnant William
Wallace, für den Bodenkrieg der Amerikaner im Irak verantwortlich,
stellte überrascht fest: "Der Feind, gegen den wir kämpfen, ist anders
als der, gegen den wir unsere Planspiele gemacht haben."
In Washington liegen seither die Nerven blank. Als ein Reporter George
W. Bush fragte, wie lange der als "Blitzkrieg" angekündigte Feldzug noch
dauern würde, bellte ein übernächtigt wirkender Präsident zurück:
"Solange wie nötig, um zu siegen. Und das ist alles, was Sie wissen
müssen." Sonst variiert Bush seither die eine Rede, die er unfallfrei
über die Lippen bringt, zuletzt am Samstag in seiner wöchentlichen
Radioansprache an die Nation: "Der Irak wird befreit werden. Das ist
keine Frage der Zeit. Es ist eine Frage des Sieges."
"Schock und Schrecken" hatten die Kriegsplaner angekündigt - in
Bagdad, nicht in Washington. Donald Rumsfeld muss sich nun gegen eine
ganze Armada von pensionierten Generälen und übergangenen Beamten im
Pentagon wehren, die dem Verteidigungsminister eines vorwerfen: Er habe
einen schnellen Schlag mit Spezialeinheiten und wenig Bodentruppen
durchgedrückt, den Militärs nach der Ablehnung von
US-Stationierungstruppen durch die Türken nicht genug Zeit gegeben, neu
zu planen. Und sich zum Nachteil der Soldaten im Feld noch in die
kleinsten Details eingemischt. In Washington hat die Suche nach den
Schuldigen begonnen.
Gewiss zweifelt weiter niemand an einem Sieg der Amerikaner und der
Briten. Aber der leichte Triumph, der die Kriegsgegner in Europa
blamieren sollte, ist dahin. Die Zeit spielt gegen den Präsidenten - und
für seinen Widersacher Saddam Hussein. Der punktet im ungleichen Kampf
gegen die Supermacht USA, je länger er diesen Krieg hinausziehen kann,
je öfter die US-Medien über gefallene und gefangene GIs, über
hartnäckige Partisanen und verzweifelte Flüchtlinge berichten müssen.
Dieser Krieg wird politisch entschieden. "Wenn Saddam eine Strategie
hat", sagt der frühere US-Generalleutnant William Nash, "heißt sie:
gewinnen, indem er nicht verliert."
Bush ist dafür bekannt, dass er gern das "große Bild" verkörpert.
Die Details, politisch wie militärisch, überlässt er den Experten. Doch
seit "Schock und Schrecken" auch die ersten Amerikaner erreicht haben,
kümmert sich Bush intensiver denn je. Mehr als drei Stunden pro Tag
lässt er sich über den Gang der Ereignisse unterrichten und stellt, so
seine Berater, viele kritische Fragen: Wieso hat die gewaltige
US-Luftwaffe mit ihren Präzisionsbomben Iraks Führung nicht "enthauptet"
und das Regime zum Zusammenbruch gebracht? Wo bleiben die Volksaufstände
gegen die verhasste Diktatur? Warum unterschätzten die rasch
vorstürmenden US-Verbände so katastrophal den Widerstandswillen der
Iraker, die als Soldaten oder Guerillas plötzlich überall entlang der
Nachschublinien angriffen? Eine Antwort hatte der Präsident schon, bevor
die erste Bombe fiel, in der Zeitung "USA Today" lesen können: "Plain
old American overconfidence" - die ewige Überschätzung der eigenen
Macht.
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Generalstabschef
Richard Myers und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bestreiten vor
Journalisten in Washington, den irakischen Widerstand unterschätzt zu
haben
Deren erstes Opfer
ist Rumsfeld geworden. Der 70-Jährige wollte sein Konzept einer
leichten, agilen und digitalisierten Streitmacht, angeführt von Special
Forces sowie Luft- und Raketenwaffe, gegenüber Opas Panzer- und
Artillerietruppen beim Irak-Krieg als "Revolution im
Militärwesen"durchboxen. Der überraschende Erfolg in Afghanistan 2001
beflügelte ihn: Da hatten wenige US-Kommandos, Marines und B-52-Bomber
mit einheimischen Hilfstruppen die Taliban rasch verjagt. Deshalb strich
Rumsfeld seinem Feldherrn Tommy Franks aus dem Aufmarschplan für den
Irak eine schwerbewaffnete Truppe nach der anderen. Mit Mühe konnte der
General ihn davon abbringen, nur 60000 Soldaten loszuschicken.
Jetzt sind es mehr als 250.000. Aber noch im Februar unterband
Rumsfeld die Entsendung der 1. Luftkavalleriedivision und der 4.
Infanteriedivision aus Texas sowie der 1. Panzerdivision aus
Deutschland. All diese schweren Verbände fehlen nun als dringend
benötigte Reserven. Ein Teilnehmer im Kriegsrat erinnert sich: "Der
Minister sagte damals, die Sache ist in zwei Tagen vorbei."
Rumsfeld war nicht der Einzige, der sich irrte. Ken Adelman, ein alter
Freund und Mitarbeiter des Verteidigungsministers, hielt den
bevorstehenden Feldzug für "ein Kinderspiel". Und Paul Wolfowitz,
Rumsfelds Stellvertreter, sagte wenige Tage vor Beginn des Krieges: "Das
irakische Volk versteht, worum es in dieser Krise geht. Wie die
Franzosen in den vierziger Jahren sehen sie uns als die erhofften
Befreier."
"Die US-Regierung hat sich von der irakischen Opposition falsch
informieren lassen, deren Führer seit 30 Jahren keinen Fuß mehr in den
Irak gesetzt haben", erklärt die irakische Exil-Künstlerin Nuha al-Radi
solche Fehleinschätzungen. Aber auch die amerikanischen Geheimdienste
CIA und DIA malten mit am schönen Bild von umjubelten Befreiern. Noch
vor zwei Wochen hielt DIA-Chef Lowell Jacoby den raschen Regimewechsel
für "sehr wahrscheinlich". Inzwischen lancierten die Dienste, schon im
Oktober 2002 hätten sie vor Guerilla-Aktionen paramilitärischer Verbände
gewarnt.
Entgangen ist den Kriesgsplanern offenbar das latente Misstrauen der
Schiiten gegenüber den Amerikanern: 1991 und 1995 hatten die USA
tatenlos zugesehen, wie Saddams Schergen Aufstände im Süden und Norden
des Irak niedermetzelten, die von Washington gefördert worden waren.
Seither ist die Angst groß, wieder im Stich gelassen zu werden. Ein
Bewohner der Stadt Umm Kasr verdeutlichte einem Reporter die Furcht vor
einem Massaker nach dem Aufstand: "Wenn die Amis abziehen, sind wir alle
tot."
Übersehen haben die Alliierten außerdem, dass die Iraker jetzt um ihre
Heimat kämpfen, nicht um das besetzte Nachbarland Kuwait. "Saddam zu
hassen heißt nicht, Amerika zu lieben", sagt der Militärfachmann Anthony
Cordesman. Diesmal sind Iraker sogar zum Selbstmordattentat bereit: Der
erste von ihnen tötete am Samstag vier US-Soldaten an einer
Straßensperre vor Najaf. Und 4000 sollen ihm folgen, verkündet die
irakische Propaganda, die den Kampf für Saddam schon zum heiligen Krieg
erklärt.
Anschläge zivil gekleideter Kämpfer lassen die Truppe noch mehr auf
Distanz zur Zivilbevölkerung gehen. Dabei müssen sie deren Vertrauen
gewinnen, wenn Saddams Strategie von "Volkskampf" und Terror nicht
aufgehen soll. Jedes US-Bombardement mit zivilen Opfern macht ihnen den
Job noch schwerer. Ein hoher amerikanischer Offizier regte gar an, "auf
israelische Art mit Panzern und Bulldozern" den schiitischen
Wallfahrtsort Najaf zu erobern oder das "heilige" Karbala, den Grabesort
des schiitischen Märtyrers Hussein. Damit würden die USA einen
Glaubenskrieg provozieren.
Inzwischen hat Amerika sich von "Desert Storm light"
verabschiedet. 100000 Soldaten sollen in den nächsten Wochen nachrücken,
schwere "Abrams"-Panzer und feuergewaltige MLRS-Raketenwerfer an die
Front gebracht werden. Die Luftwaffe soll nicht mehr erfolglose Einsätze
mit "Bunkerbrecher-Bomben" gegen Iraks Führungsspitze fliegen, sondern
im Verteidigungsring um Bagdad möglichst alle Raketen- und
Artilleriestellungen zerstören, die Munition mit chemischen oder
biologischen Kampfstoffen abfeuern könnten.
Nach britischen Angaben haben die Iraker bereits Giftgasmunition nach
Süden verlegt. An diese Front hat Saddam seinen Cousin General Ali
Hassan al-Majid geschickt, der wegen seiner C-Waffen-Kampagne gegen die
Kurden 1988 als "Chemical Ali" verrufen ist. "Erst wenn General Franks
sicher ist, dass wir die Bedrohung der C-Waffen-Artillerie ausreichend
eliminiert haben", sagt US-Militärexperte Tom Donnelly, "werden wir die
Schlinge um Bagdad enger ziehen." In der Zwischenzeit hofft das Pentagon
immer noch, dass irgendjemand Saddam Hussein beseitigt und Amerika eine
blutige Schlacht um die irakische Hauptstadt erspart. Im Häuserkampf mit
Hinterhalten und Sprengfallen wird die materielle und technische
Überlegenheit der USA weitgehend aufgehoben. Was zählt, ist der Wille,
den Gegner zu zermürben und dafür bis zum Tod zu kämpfen - das genaue
Gegenteil amerikanischer Kriegstaktik.
Den Endkampf um Bagdad vergleichen Experten mal mit Stalingrad
oder Berlin im Zweiten Weltkrieg mit Zigtausenden Toten. Oder auch mit
Hue 1968, wo 149 Amerikaner und über 5000 Vietnamesen fielen, mal mit
Mogadischu 1993, als 18 GIs und 1000 Somalis starben - oder gar mit
Moskau 1812, wo die Russen Napoleons Truppen in die Weite des Raumes
zogen und sie dann mit Feuer und Schwert überzogen. Von einem Sieg
träumt wohl selbst Saddam nicht, aber er rechnet sich ein Patt aus, das
ihn - wieder einmal - überleben lässt.
Schon jetzt ist klar, dass die Supermacht USA, der noch vor kurzem alle
alles zugetraut haben, entzaubert ist. Der Riese ist ins Straucheln
geraten, und seine Kriegspannen sind vielen Anlass zu klammheimlicher
Freude. Weltweit protestieren Hunderttausende Woche für Woche gegen den
"Aggressionskrieg im Irak", verurteilen die vermutete Politik "Blut für
Öl" und boykottieren amerikanische und britische Energiekonzerne.
Aus Saddam Hussein aber haben zwei Wochen Krieg einen Helden der
arabischen und muslimischen Welt gemacht. Sein Bild wird wieder zusammen
mit der Flagge des Irak durch die Hauptstädte von Marokko bis Indonesien
getragen. Die Fotos gefangener GIs oder getöteter Briten bestärken die
unter dem Bombenhagel leidenden Bewohner Bagdads in dem Gefühl, auch ein
David habe gegen Goliath eine Chance. Und an Bushs Beteuerungen, ein
Sieg im Irak werde die Demokratie in Nahost fördern und sogar Israelis
und Palästinenser zum Frieden bewegen, glauben noch weniger als vorher.
Als der Reporter des US-Nachrichtenmagazins "Newsweek" Chris Dickey von
CNN-Kollegen nach seinen Eindrücken vom Krieg gefragt wurde, brach es
aus ihm heraus: "Die Wahrheit ist, dass wir uns vom Rest der Welt immer
mehr entfremden. Dass es im höchsten Grad naiv war zu glauben, wir
würden im Irak mit offenen Armen empfangen werden. Dass unsere Regierung
vielleicht einen Flächenbrand ausgelöst hat. Dass wir uns daran gewöhnen
müssen, dass man uns nicht mag." Dann sagte er noch: "Tut mir leid, wenn
Sie von mir was anderes erwartet haben. Aber so sehe ich das."
Washington versucht nun, in den Medien gegenzusteuern. Dabei
bleibt jedoch die Wahrheit bisweilen auf der Strecke, von der
Vier-Sterne-General Tommy Franks bei seinen Pressekonferenzen in Katar
so gerne redet. Eine von Amerikanern entdeckte "Chemiewaffenfabrik" im
Westirak kannten UN-Waffeninspekteure längst als Fertigungsanlage für
PVC-Kunststoffe. Sechs "sichere" Hinweise auf versteckte irakische
Depots für Massenvernichtungswaffen, dem eigentlichen Grund des Krieges,
erwiesen sich als haltlos. Die von Briten verkündete Kapitulation der
irakischen Garnison von Basra war nicht mehr als eine Fata Morgana. Die
täglichen Bulletins, alles laufe "nach Plan", wurden bald von den
düsteren Front-Bildern im Sandsturm überholt.
Im Weißen Haus legen Medienexperten inzwischen genau fest, welchen Dreh
Sprecher Ari Fleischer der Story des Tages geben muss. So fanden sie es
richtig, dass Bush jüngst in Tampa seine Siegeszuversicht kundtat,
empfahlen aber, er solle sich nicht zu oft zum Kriegsgeschehen äußern,
"damit er nicht für jede Panne verantwortlich gemacht wird", so ein
Insider. Um politischem Schaden zu entgehen, hat Bush seine einstige
Pressesprecherin Karen Hughes als Top-Imageberaterin zurückgeholt.
Im Augenblick mag Amerikas Ansehen noch vom Erfolg auf dem
Schlachtfeld abhängen. Doch schon drohen die nächsten Probleme. Bush
weiß, dass er nach dem Krieg finanzkräftigere Verbündete braucht als
Kiribati oder Litauen. Den Wiederaufbau des Irak werden die USA nicht
allein bewältigen können, die Sicherheit der Bürger nicht ohne fremde
Truppen gewährleisten. "Wir sind stärker als jeder Andere", sagt der
ehemalige Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, "aber wir können nicht
einfach der ganzen Welt unseren Willen diktieren. Da ist Bushs Regierung
ganz schlimm auf den Bauch gefallen." Doch mit Leuten wie Gerhard
Schröder und Jacques Chirac redet Bush nicht mehr - schlechte
Voraussetzungen für eine Kooperation nach dem Krieg.
Dazu kommen mögliche innenpolitische Probleme. Ende des Jahres beginnt
der Vorwahlkampf für 2004. Wie viel Krieg, wie viele amerikanische Opfer
können Bush den Sieg kosten? Ein Monat und 200 Tote, wie der
Marines-Veteran und Nahost-Experte David Sconyers vermutet, oder ein
längerer Konflikt mit "Tausenden Opfern", wie der Golfkrieg-Fachmann
Kenneth Pollack annimmt? Die Welt vor Terrorismus und Schurkenstaaten zu
retten, sieht George W. Bush seit dem 11. September 2001"als einzige
Aufgabe seines Lebens", sagt sein Biograf Richard Brookhiser. Bush hat
seine Zukunft mit diesem Krieg verknüpft. Selbst die Warnung des 41.
Präsidenten hat er deshalb in den Wind geschlagen: "Hätten wir 1991 den
Weg der Invasion des Irak beschritten, säßen wir vermutlich noch immer
als Besatzungsmacht in einem erbittert feindseligen Land", schrieb der
in seinen Memoiren. Es sind die Erinnerungen von George Bush, dem Vater.
Mario R. Dederichs, Mitarbeit: Michael Streck
Adresse:
http://www.stern.de/politik/ausland/index.html?eid=505270&id=506095&nv=ex_tt
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