Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter - Von W. Montgomery Watt
Buchbesprechung von Ahmad Gross

Die Einführung des Euro stellt offensichtlich einen aktuellen Anlass dar, sich als Europäer erneut „auf die Suche nach unserer Identität“ (siehe aktuelle Spiegel-Serie) zu machen. Was ist eigentlich ein Europäer? Haben uns nicht die Muslime die Alten Griechen vermittelt?

1970 legte W. Montgomery Watt, als damals 81 jähriger Arabistikprofessor der Universität Edinburgh, in seiner Vorlesungsreihe am College de France kenntnisreich dar, dass das neuzeitliche Europa nicht zuletzt aus der mediterran-mittelalterlichen Hochkultur der Muslime Spaniens und Siziliens hervorgegangen ist. Sein Buch „Der Einfluss des Islam auf das europäische Mittelalter“ ist nun in einer Taschenbuchausgabe erschienen, die sich mühelos in jeder Jackentasche verstauen lässt. Wer dieses kleine Büchlein schon gekauft oder es geschenkt bekommen hat, der erfreut sich gewiss an der Kürze der Darstellung, die einem bei geringem Zeitaufwand eine allgemeinverständliche Einführung in die islamische Kultur des mittelalterlichen Europa vermittelt.

Die Welt des südeuropäischen Islam versprühte eine Faszination, die all jene Europäer empfanden, die etwa zwischen 700 und 1500 mit den Muslimen Spaniens und Siziliens, mit der gelassenen Überlegenheit ihren materiellen und geistigen Hervorbringungen in Berührung gerieten. Themen wie Wissenschaft (Studium und Übersetzung der Alten Griechen, Medizin, Mathematik, Musiktheorie, Poesie, Chemie), Technik (Nautik, Bewässerungstechnik), urbane Lebensqualität (Wassertoilette, Kaffee, Gitarre, Schach, Satin, Massage, Einführung des von den Chinesen erfundenen Papiers nach Europa) werden knapp angesprochen.
Sie stehen für eine Faszination, die sich der Welt spätestens seit dem 11. September zur Fata Morgana zu verwandeln droht.

Die trockene Nüchternheit des nichtmuslimischen Akademikers, der sich um eine ausgewogene Darstellung müht, kommt da gerade zur rechten Zeit, da sie als solche erst gar nicht in den Verdacht gerät, Apologetik zu sein. Der Autor lässt Fakten sprechen. Das ebenso detaillierte wie komprimierte Buch gliedert sich in sechs Hauptteile, die erste Hälfte beschreibt die epochalen kulturellen Leistungen der Muslime, die zweite befasst sich mit der Reaktion des nichtmuslimischen, d.h. päpstlichen Europas, das bald erkannte, wie nützlich ein großer Gegner der eigenen Sache sein kann.

Irgendwann stößt der aufmerksame Leser allerdings auf den unweigerlich blinden Fleck im fehlenden Verständnis des nichtmuslimischen Autors. Neben der naiv parteiischen Bestimmung von Dschihad („schnöde Besitzgier“) und Kreuzzügen („durch sie entdeckte Westeuropa seine Seele“), staunt der muslimische Leser vor allem über nicht weiter ausgeführte, knochentrockene Aussagen wie „Obwohl sie nicht besonders viele waren, gelang es den Arabern, binnen zwei bis drei Jahren die wichtigsten Städte zu besetzen und im Land weitgehend Frieden zu schaffen. Der größte Teil der Bevölkerung unterwarf sich und erhielt den Status von geschützten Bundesgenossen.“ Die Frage der Fragen, wie sich dieses „obwohl“, denn nun erklären lässt, was denn die tatsächlichen Gründe für den Sieg der Muslime und ihre erstaunliche Kulturblüte war (-angefangen von den unerwähnten muslimischen Glaubensgrundlagen bis zu ihrem überlegenen Sozialsystem-), bleibt aller Materialfülle zum Trotz unbeantwortet. Dies ist umso erstaunlicher, da Watt manche dieser Gründe (z.B. „das ganze islamische Reich eine einzige Freihandelszone“) zwar beiläufig erwähnt, jedoch nicht weiter ausführt. Der interessierte Leser wird auf die (zumeist englischen und französischen) Literaturverweise der zehnseitigen Anmerkungen verwiesen. Dort findet sich auch das 1960 erschienene epochale Standardwerk von Sigrid Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland, nach dem der interessierte Leser zu Recht greifen wird. Sigrid Hunke verbindet Detailwissen mit jener Liebe zum Untersuchungsobjekt, die für Goethe nicht etwa blind macht, sondern echtes Verstehen erst ermöglicht. Fortgeschrittenen Englisch-Lesern sei jedoch Ahmad Thomsons Klassiker „For Christ's Sake“ und „Islam in Al-Andalus“ empfohlen (beide sind als Paperback bei Ta-Ha Publishers, London erschienen), wenn man der lieben Vollständigkeit halber auch die europäisch-muslimische Sicht der Dinge, die andere Hälfte der Orange sucht, wie der Spanier sagt.


Quelle: Islamische Zeitung

 

@ Ekrem Yolcu

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