Originaltext

Sura 113

(© Mürsid 1.0, astec GmbH)

113-AL-FALAQ

Übersetzung

Das Morgengrauen (offenbart in Mekka)

Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen

1. Sprich : "Ich nehme meine Zuflucht beim Herrn der Morgendämmerung,

2. Vor dem Übel dessen, was Er erschaffen,

3. Und vor dem Übel der Nacht, wenn sie sich verbreitet,

4. Und vor dem Übel derer, die auf die Knoten blasen (um sie zu lösen),

5. Und vor dem Übel des Neiders, wenn er neidet."

  KOMMENTAR


Kommentar

»Sind dir nicht die Verse bekannt, die diese Nacht offenbart wurden? Dergleichen hat man noch nicht gehört: »Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Morgengrauens« und sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn der Menschen! «

Dieser Hadith, der bei Muslim überliefert wird, macht den Stellenwert der beiden letzten Suren des Qur’an-Textes deutlich und läßt erahnen, welch ungeheuer tröstliche und befreiende Wirkung diese Suren auf die G1äubigen gehabt haben mögen, als diese Verse in Mekka offenbart und der noch kleinen islamischen Gemeinde von ihrem Propheten Muhammad (a.s.s.) verkündet wurden.

»Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Morgengrauens. - in diesem ersten Vers der Sura 113 fordert Allah (t) Seinen Propheten Mu- hammad (a.s.s.) und die G1äubigen auf, bestimmte Worte zu sprechen, die Angst, Aberglauben und alles Übel vertreiben. Dies bezieht sich insbesondere auf jene Kräfte in der Schöpfung, auf die wir Menschen aus eigener Kraft keinen Einfluß haben, wie z. B. die Cinn, den Bösen Blick« usw. Allah (t) läßt in Seiner Güte die Gläu- bigen jedoch nicht allein in Angst und Hilflosig- keit, sondern eröffnet ihnen eine Möglichkeit, ihre Ängste abzulegen, Zuflucht in der Rechtleitung Allahs, im Bewußtsein und im Schutz Seiner All- macht zu suchen und somit in Sicherheit und Sorglosigkeit zu leben.

Betrachten wir nun die Worte dieses Verses im einzelnen: Die kurze Einleitung der Sura durch das Wort »Sprich« hat mehrere Bedeutungen: Sie stellt eine Aufforderung Allahs (t) an Seinen Gesandten Muhammad (a.s.s.) dar, diese Sura den Menschen vorzutragen; Allah (t) fordert dadurch, wie bereits erwähnt, die G1äubigen auf, bestimmte Worte zu ihrem Schutz zu sprechen; und dieses »Sprich« lenkt die Aufmerksamkeit auf das Folgende und macht den Verkündigungscharakter dieser Sura deutlich, nämlich die Verkündigung von etwas, dessen sich der Mensch bisher noch nicht bewußt war.

Der Gläubige kann, darf, soll also Zuflucht suchen - beim Herrn* des Morgengrauens«, also bei Allah (t), denn Er ist es, Der die Macht hat, die Nacht in den Tag übergehen zu lassen. Aus diesem Vers ergibt sich ein Aspekt des Tau·d, nämlich daß nur Allah (t) es ist, Der Schutz und Hilfe gewähren kann, und daß nur Allah (t) es ist, bei Dem man Zuflucht und Schutz vor allem Bösen suchen darf.

Dieses Zufluchtnehmen bei Allah (t) heißt im Arabischen Isti’âda - es bedeutet.Mehen vor einer Sache, die Anlaß zur Furcht gibt, zu jemandem, der diese Sache verhindern und Schutz bieten kann«; der Qur’an-Kommentator Ibn Katlr definiert Isti’àda als »Zuflucht nehmen bei Allãh (t) und sich Seinem Schutz anvertrauen vor dem Übel alles Übelstiftendenden«.

Isti’âda ist somit Bestandteil der ‘Ibâda, des Gehorsams gegenüber Allah (t) in Verehrung und Liebe. Deshalb befiehlt Allah (t) in diesem Vers, bei Ihm Zuflucht zu suchen, denn Er ist der unumschränkte Herr, der allwissende Schöpfer und allmächtige Gebieter des gesamten Universums, und deshalb gibt es keinen Zufluchtsort in Bedrängnis, Not und Furcht außer bei Ihm allein - Er allein hat die Macht, das Übel abzuwenden, und daher ist es im Islam verboten, bei jemand anderem als bei Allah (t) Zuflucht und Schutz zu suchen oder gar Zauberbeschwörungen vorzunehmen, wie sie in Sura 72 (Al-Ginn, Die Ginn), Vers 6 angesprochen werden:

Und daß manche Menschen Zuflucht bei Ginn zu suchen pflegten, aber sie vermehrten (dadurch nur) ihre Sündhaftigkeit. Der Ausdruck «Herr des Morgengrauens» (weist aber noch auf einen weiteren Aspekt von Allahs Macht hin: Als «Herr des Morgengrauens» ist Er der Herr über den Wechsel von Tag und Nacht, einen Zeitenwechsel, der von der Drehung der Erde innerhalb des Sonnensystems abhängig ist. «Herr des Morgengrauens» bedeutet also auch «Herr eines wohldurchdachten und vollkommenen Systems«, und in Qur’an-Kommentaren wird darauf hingewiesen, daß falaq (wörtlich: Spaltung) nicht nur »Morgengrauen«, sondern demnach auch »Gesamtheit der Schöpfung« bedeutet.

Im zweiten Vers heißt es:

»vor dem Übel dessen, was Er erschaffen hat«d. h. also: »Ich suche Zuflucht vor dem Übel, das der Herr des Morgengrauens erschaffen hat.«d.h. Einige Qur’an-Kommentatoren interpretieren das in diesem Vers genannte Übel als die Hölle oder den Teufel2 und seine Helfer; andere Kommentatoren geben eine weitergehende Erklärung und sagen, daß damit das gesamte Übel gemeint sei, das in einem Teil der Schöpfung existiert, von Menschen ausgehend, von Ginn, von Tieren oder Naturereignissen wie z. B. Blitz und Erdbeben. (Dagegen sind andere Teile der Schöpfung vollständig frei von Übel, wie z. B. das Paradies, die Engel oder die Propheten im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Offenbarungsträger).

Betrachten wir zum besseren Verständnis zunächst den Begriff des Übels in dieser Sura etwas genauer:

Falaq kann außerdem «Spaltung der Dinge in zwei Komponenten» oder «Spaltung des Samenkorns durch Entsprießen der Pflanze» bedeuten. Einige Kommentatoren vermuten auch, daß falaq eine Abteilung des Höllenfeuers sein könnte - die überwiegende Meinung der Gelehrten besagt jedoch, daß unter falaq in diesem Vers konkret das Morgengrauen zu verstehen sei.2 Zum Begriff des Teufels siehe den Kommentar zum vierten Vers der Sura 114.

Vier Arten von Übel werden erwähnt - in diesem Vers das allgemeine Übel in bestimmten Teilen der Schöpfung und in den folgenden drei Versen drei weitere Arten, nämlich das Übel der Dunkelheit, das Übel der »Knotenanbläserinnen« und das Übel desjenigen, der neidet.

Allgemein können wir zunächst einmal zwei Arten des Übels unterscheiden: das Übel, das von jemandem selbst ausgeht - nämlich die Sünden, die er begeht -, und das Übel, das einem zustoßen kann -sei es durch andere Menschen, durch Ginn, durch Tiere oder durch Naturereignisse. Beide Arten des Übels sind Gegenstand der Isti'âda. Halten wir weiterhin fest, daß unter.Übel«äuch die Leiden und ihre Ursachen zu verstehen sind, also z. B. ein Gift als Ursache für eine daraus entstehende Krankheit oder die falsche Anwendung von Kräften, die auch Nutzen bringen können, wie z. B. von Feuer, von Wasser oder Elektrizität, aber auch von geistigen oder körperlichen Fähigkeiten als Ursache für Unheil und Zerstörung. Auch Unglaube und Sünden können unter diesem Aspekt betrachtet werden: Unglaube z. B. ist wie ein Gift, das die moralische Substanz der Menschen zersetzt und eine Gesellschaft dadurch ins Verderben stürzt.

Übel können aber auch in solche körperlicher und solche seelischer Art gegliedert werden - zur ersten Kategorie gehören z. B. Krankheiten und Unfälle, zur zweiten gehören z. B. Mißgunst und irrationale Ängste.

Und schließlich lassen sich die Übel in bereits vorhandene und in noch nicht bestehende einteilen - im ersten Fall bezieht sich die Isti'âda - demnach auf die Beseitigung des Übels, im zweiten Fall bittet man Allah (t), kein Übel entstehen zu lassen. Auf die zweite Situation bezieht sich z. B. auch das »Gebet um die richtige Eingebung«, Salâ-tu-l-istihâra, das man verrichten kann, wenn man eine wichtige Entscheidung treffen muß, für die mehrere Möglichkeiten zur Wahl stehen; auch die Aufforderung Allahs (t), vor Beginn einer Qur’an-Rezitation Ihn um Schutz vor dem Satan zu bitten, gehört zu diesem Themenkreis.

Das Übel, das Allah (t) erschaffen hat, ist nun aber nicht zu verstehen als eine geschaffene Eigenschaft dessen, der ein Übel bewirkt, oder, anders ausgedrückt, nicht als eine vorhandene Eigenschaft, die sich notwendigerweise als Übel äußern muß - vielmehr ist das Übel zu verstehen als eine von dieser Eigenschaft getrennte Wirkung, die jedoch unter bestimmten Umständen zum Übel werden kann. Ein einfaches Beispiel:

Das Gift einer Biene ist kein Übel an sich, im Gegenteil - als Bestandteil von Medikamenten hat es schmerzlindernde Wirkung und ist also unter diesen Umständen etwas Gutes; zum Übel, und zwar für eine ganz bestimmte Person, wird es vielmehr erst dann, wenn es durch den Stich der Biene in die Blutbahn gelangt und nun beim Gestochenen Schwellungen und Schmerzen hervorruft.

An diesem Beispiel wird deutlich, daß Übel etwas Relatives ist - ein Begriff und eine Empfin- dung aus der Sicht des Menschen; denn aus der Sicht Allahs (t) ist alles von Ihm Geschaffene von Seinem Ursprung her gut - wobei man allerdings beachten muß, daß nur Allah (t) weiß, was für den Menschen und für die Gesamtheit der Schöpfung tatsächlich gut ist. Betrachten wir dazu noch ein weiteres Beispiel:

Wenn einem Dieb als von Allah (t) vorgeschriebene Strafe die Hand abgeschlagen wird, so ist dies für den Dieb aus seiner subjektiven Sicht etwas Schlimmes, Schlechtes, ein Übel - für die übrige Gesellschaft aber bedeutet die Bestrafung des Diebes aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung Schutz und Sicherheit und somit etwas Gutes. Und selbst der Dieb mag, sofern er im Grunde seines Herzens doch ein gläubiger Muslim ist, schließlich in seiner Bestrafung doch noch etwas Gutes erkennen -hat er doch durch Sie sein Vergehen im Diesseits gesühnt und entgeht dadurch einer vielleicht viel härteren Strafe im Jenseits. An diesem Beispiel wird auch deutlich, daß das Übel, nämlich die Bestrafung, Folge des eigenen Fehlverhaltens, des »unrechten« Verhalten des Diebes ist, daß das Übel also vom Menschen selbst ausgehen kann -nicht nur in dem Sinne, daß er als »Übeltäter« anderen Übel zufügt, sondern auch in dem Sinne, daß seine Übeltat anderen gegenüber Folgen nach sich zieht, die für ihn selbst von Übel sind. Das Übel infolge des eigenen Unrechts wird im Qur’an häufig angesprochen, und wir werden auf diesen Ursprung deutlich hingewiesen; so heißt es z. B. in Sura 30 (Ar-Rmm, Die Römer), Vers 36:

.«Und wenn Wir die Menschen (ein Zeichen Unserer) Barmherzigkeit erleben lassen, freuen sie sich darüber. Aber wenn sie wegen der früheren Werke ihrer Hände etwas Schlimmes trifft, sind sie gleich verzweifelt. « Und in Sura 43 (Az-Zuhruf, Der Schmuck), Vers 76 stellt Allah (t) klar:

»Und nicht Wir haben ihnen Unrecht getan (indem sie ein Übel traf), sondern sie selbst waren es, die Unrecht taten«neben dem Übel, das der Mensch sich selbst zuzuschreiben hat, gibt es natürlich auch Widrigkeiten, auf die der Mensch keinen unmittelbaren Einfluß hat, wie z. B. Naturkatastrophen. Inwieweit der Mensch jedoch durch Fehlverhalten nicht auch zu ihrem Zustandekommen unmittelbar beiträgt - ganz deutlich wird dies hinsichtlich der Umweltverschmutzung - und inwieweit er auch viele Krankheiten selbst verschuldet, bleibt dahingestellt. «Sprich: Er hat die Macht, über euch eine Strafe zu senden« heißt es im 65. Vers der Sura 6 (Al-‘An’âm, Das Vieh)- und inwieweit Allah (t) den Menschen durch bestimmte Ereignisse zum Nachdenken und zur Rückkehr zum Guten bewegen will, das weiß Er allein. Halten wir zum Abschluß dieser allgemeinen Betrachtungen fest: Um welche Art von Übel es sich auch handeln mag, in allen Fällen hat der Mensch die segensreiche Möglichkeit, Allah (t) um Seinen Schutz zu bitten.

Nachdem also im zweiten Vers dieser Sura das Übel allgemein angesprochen wird, richtet Allah (t) im nächsten Vers unsere Aufmerksamkeit auf ein spezielles Übel, indem Er sagt:

»Und vor dem Übel der Dunkelheit, wenn sie hereinbricht« Nach überwiegender Meinung der Qur'an-Kommentatoren ist unter »Dunkelheit« die Nacht zu verstehen - demnach spricht dieser Vers also das Übel an, das beim Hereinbrechen der Nacht auftaucht.

Während der Tag Licht, Wärme und Sicherheit verbreitet, ist die Nacht die Zeit des Dunkels, der Kälte, der Unsicherheit und der Angst. Die Nacht ist z. B. die Zeit der Diebe und Verbrecher, die die Dunkelheit für ihre üblen, »dunklen« Zwecke nutzen, und die Nacht ist, was für Menschen in vielen Gebieten der Welt auch heute noch von größter Bedeutung ist, die Zeit der Raubtiere - die Nacht ist also die Zeit vermehrter physischer Ge- fahren oder, anders ausgedrückt, Gefahren »kör- perlicher Übel«, aufgrund derer sich der Mensch unsicher fühlt und ängstigt. Aber die Nacht ist auch die Zeit vermehrter irrationaler Ängste - »seelischer Übel«: Wem ist nicht schon einmal ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen, wenn er nachts allein im Wald oder an einem entlegenen Ort ein Kätzchen schreien oder einen Hund jau- len oder den Wind in den B1ättern rauschen hörte · Dinge, die ihn am hellichten Tage in keiner Weise beunruhigt hätten? Und vor allem die Nacht ist auch die Zeit, in den Mißstimmungen zu Depressionen, kleine Schwierigkeiten zu großen Problemen und Kummer und Traurigkeit zu Ver- zweiflung anzuwachsen drohen. Bei Sonnenun- tergang beginnt die Macht des Satans sich auszu- breiten«, sagte der Prophet Muhammad (a.s.s.), und damit wir dieser Macht nicht ausgeliefert sind, gebietet uns Allah (t) die Isti'âda vor dem «Übel der Nacht» In diesem Zusammenhang erkennen wir nun auch eine weitere Bedeutung des ersten Verses dieser Sura, «Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Morgengrauens, denn das Morgen- grauen vertreibt und beendet die Dunkelheit der Nacht und mit ihr die dunklen, üblen Gescheh- nisse der Finsternis. Damit wird erneut deutlich, daß allein Allah (t) als Herr und Schöpfer des Guten und des Lichts die Macht hat, das Übel des Dunklen zu verbannen.

Dieses Verhältnis von Licht und Dunkelheit wird auch aus Vers 257 der zweiten Sura (Al-Baqara, Die Kuh) ersichtlich:

»Allah ist der Freund derjenigen, die glauben. Er bringt sie aus den Finsternissen zum Licht. Und diejenigen, die ungläubig sind, ihre Freunde sind die Teufel. Sie bringen sie hinaus aus dem Licht in die Finsternisse« Der Glaube ist also wie das Licht, das die Herzen der G1äubigen erleuchtet, und der Unglaube ist wie die Dunkelheit, die die Herzen der Menschen in die Irre gehen und verstocken läßt.

Der nächste Vers spricht von dem dritten in dieser Sura erwähnten Übel; nach dem Übel im allge- meinen und dem Übel der Dunkelheit im besonderen sagt Allah (t):

»Und vor dem Übel der Knotenanbläserinnen« Bei diesen Knotenanbläserinnen handelt es sich um eine Art Priesterinnen von Al-Lat, die von den heidnischen Arabern als Göttin verehrt wurde.

Die Knotenanbläserinnen galten als Zauberinnen

Sie übten einen bestimmten »Knotenzauber« aus, indem sie Stricke verknüpften und jeden einzelnen Knoten anhauchten; damit sollten andere Menschen verhext werden. Diese Zauberei war eine Art von Magie, und sie steht hier in dieser Sura stellvertretend für Magie im allgemeinen.

Die Erwähnung der Zauberei in diesem Vers beweist, daß es Magie tatsächlich gibt und daß sie Schaden anrichtet; es ist eine bekannte Tatsache, daß Magie mit Täuschung, Betrug und Suggestion zusammenhängt, daß dabei mit den Gefühlen und Sìnneswahrnehmungen der Menschen, ihrem Aberglauben und ihren Angsten gespielt wird. Dagegen kann kein Mensch tatsächlich zaubern in dem Sinne, daß er etwas von Allah (t) Geschaffenes durch noch so geschickte Vorgehensweise verändert oder etwas von Ihm Gewolltes durch »magische Kräfte« oder Hexerei beeinflußt - auch dies lehrt uns Allah (t) im Qur’an, indem Er in Sura 20 (Tá Hä) die Vorgehensweise der sogenannten Zauberer deutlich und offen darlegt; im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen dem Pharao und Mose (a.s.), den der Pharao für einen Zauberer hält und nun seinerseits durch Zauberer beeindrucken will, heißt es in den Versen 65 ff:

»Sie (die Zauberer) sprachen:,0 Mose! Entweder wirfst du, oder wir sind die ersten,die werfen« (65)! Er sagte: »Nein, werft ihr (zuerst)! « Und da kam es ihm so vor, als ob die Stricke und Stäbe durch ihren Zauber (am Boden) liefen (66). Und Mose empfand in seinem Innern Furcht (67). Wir sprachen: ,Fürchte dich nicht! Du wirst ja der Oberlegene sein (68). Und wirf (nun), was du in deiner Rechten hast, dann schnappt es weg, was sie ge-macht haben! Was sie gemacht haben, ist nur die List eines Zauberers, und dem, der Zauberei treibt, wird es nicht wohlergehen, wo (immer) er auch auftritt (69).« Da warfen sich die Zauberer (wie von selbst) anbetend nieder. Sie sagten: »Wir glauben an den Herrn Aarons und Moses (70)!(« Aus Vers 102 von Sura 2 (Al-Baqara, Die Kuh) erfahren wir, daß die Verbreitung der Zauberei im eben beschriebenen Sinne auf die Teufel zurückgeht:

Zauberei im eben beschriebenen Sinne auf die Teufel zurückgeht: »Sie (d. h. diejenigen, die Zauberei treiben) folgen dem, was die Teufel unter der Herrschaft Salomos (den Menschen fälschlicherweise) vorlasen. Nicht Salomo war ungläubig, sondern die Teufel waren es, indem sie die Menschen in der Zauberei unter- wiesen. Und (sie folgten dem an Zauberei,) was den beiden Engeln in Babel, Hârût und Mäsüt (vom Himmel herab) offenbart worden war. Und sie (beide) unterwiesen keinen (in der Zauberei), ohne zu sagen: »Wir sind nur eine Versuchung. So werde (darum) nicht ungläubig! Und so lernten sie (d. h. die Menschen) von ihnen beiden (d. h. von den besagten Engeln) das (Zaubermittel), womit man Zwietracht zwischen den Ehegatten stiftet, doch können sie damit niemandem schaden, außer mit Allahs Erlaubnis. Und sie erlernten, was ihnen schadet und nicht nützt...« In einem Hadit, der bei Al-Buhâri überliefert wlld, warnt der Prophet Muhammad (a.s.s.) vor sieben Todsünden; zu ihnen géhört auch die Zauberei. Und bedeutende islamische Rechtsgelehrte - zu ihnen gehören Ahmad ibn Hanbal, Mâlik und Aba Hanifa sowie 'Umar ® (der zweite Kalif), sein Sohn 'Abdulläh ibn'Umar ® und'Utman ® (der dritte Kalif)- waren der Meinung, daß Zauberer zu töten seien, d. h., daß ihr Vergehen, Menschen mit ihrer Zauberei zu täuschen und Übel zu verbreiten, schwer genug sei, um mit der Todesstrafe geahndet zu werden.

Erinnert es nun nicht doch an .magische Beschwörung«, wenn ein Muslim, z. B. bei Krankheit, die beiden letzten Suren des Qur’an, also auch diese, rezitiert? Daß es sich dabei um etwas grundsätzlich anderes handelt, dürfte dem aufmerksamen Leser jedoch bereits deutlich geworden sein: Während bei magischer Beschwörung außergewöhnliche Fähigkeiten zum Schaden eines anderen angewandt werden, bittet der Muslim durch die Rezitation der beiden Suren Allah (t) mit Seinen eigenen Worten um Schutz und Hilfe, im aufrichtigen Vertrauen auf Allahs alleinige Macht. Auch der Prophet Muhammad (a.s.s.) tat dies: In einem Hadit, den Al-Buhâri überliefert hat, wird berichtet, daß Muhammad (a.s.s.) bei Krankheit diese beiden Suren rezitiert habe und dabei mit seinen beiden Händen wischend über seinen Körper gefahren sei.

Im letzten Vers dieser Sura lernen wir die vierte Art von Ubel kennen, nämlich das »Übel eines (jeden) Neiders, wenn er neidet«.

Zunächst einmal ist dieser Vers ein Beweis dafür, daß der Neid ein Übel ist, vor dem man Allah (t) um Schutz bitten soll; zum anderen lehrt uns dieser Vers, daß es nicht den Neider schlechthin gibt - vielmehr besagt die Formulierung, daß jeder Mensch einmal Gefühle des Neids haben kann, die für andere zum Übel werden können. Betrachten wir den Begriff des Neids etwas genauer: Allgemein bezeichnet er die Mißgunst einem anderen Menschen gegenüber, wenn diesem etwas Gutes widerfährt, verbunden mit dem Wunsch, daß dieses Gute wieder verschwindet oder auf den Neidischen selbst übergeht. Und speziellim Qur’an bedeutet Neid Mißgunst wegen der Gnade und Wohltat Allahs (t) für einen Menschen und der Wunsch nach Beendigung dieser Gnade. So heißt es im 109. Vers der zweiten Sura (Al-Baqara, Die Kuh):

»Viele vom Volk der Schrift (u. a. die Christen und Juden) wünschen, sie könnten euch (die Muslime) nach eurem (rechten) Glauben wieder zu Ungläu- bigen machen, aus Neid, nachdem ihnen die Wahrheit klar geworden ist...« Und im 54. Vers der vierten Sura (An-Nisã= Die Frauen) lesen wir:

»Oder beneiden sie die Leute deswegen, was Allah ihnen in Seiner Huld gegeben hat?« Den Neid kann man in drei Kategorien einteilen:

Erstens in den Wunsch nach Aufhören einer Wohltat oder Gunst, die einem anderen zukommt; dann in den Wunsch, daß einem anderen gar nicht erst etwas Gutes widerfährt; und schließlich in den Wunsch, daß einen selbst dasselbe Wohlergehen trifft, ohne dabei dem anderen zu wünschen, daß die Wohltat, die ihm zuteil wurde, wieder verschwindet. Diese dritte Art des Neids könnte man jedoch auch als Konkurrenzdenken, Rivalität oder Wetteifer bezeichnen und sie wird in diesem Vers nicht angesprochen. Im Hinblick auf die beiden zuerst genannten Kategorien des Neids aber befiehlt uns Allah (t), in Gottesfurcht und unbedingtem Vertrauen zu Ihm bei Ihm Schutz zu suchen, denn nur dadurch kann diese Art des Übels abgewehrt werden - wir selbst können uns von uns aus dagegen nicht zur Wehr setzen. Gottesfurcht und bedingungsloses Vertrauen zu Allah (t) führen auch zu einer Lebensgrundeinstellung, die Neid bereits in seinen Wurzeln bekämpft, denn sie führen zu Geduld und Aufrichtigkeit, zum Bestreben, von Allah (t) Verbotenes zu meiden, zu Großmut und zu Mitgefühl; sie motivieren zum Verrichten guter Taten, und sie führen zu der Fähigkeit, sich zu bescheiden. Auch das Bewußtsein der Bruderlichkeit im Islam und das Gebot zu deren tatsächlicher Umsetzung in die Praxis wirken dem Neid entgegen; wie AI-Buhâri überliefert, mahnte der Prophet Muhammad (a.s.s.):

»Niemand von euch ist gläubig, bis er nicht für seinen Bruder das wünscht, was er für sich selbst wünscht.« Wut, Haß und Selbstsucht dagegen begünstigen den Neid, und daß Neid nicht mit dem Glauben an Allah (t) vereinbar ist, wird deutlich im 32. Vers der Sura 4 (An-Nisã= Die kauen); in ihm weist Allah (t) ausdrücklich darauf hin, daß Er es ist, Der jedem zukommen läßt, was er verdient:

»Und wünscht euch nicht das, womit Allah die einen von euch vor den anderen ausgezeichnet hat! Den Männern kommt ein Anteil zu von dem, was sie verdient haben, und den Frauen kommt ein Anteil zu von dem, was sie verdient haben.

Und bittet Allah (um etwas) von Seiner Huld (statt einander zu beneiden)!« Die seelischen Einflüsse aufandere Menschen, die sich aus dem Neid und anderen negativen Ge- fühlsregungen ergeben können, wie z. B. der »Böse Blick«, sind in ihrem Ursprung und in ihrer kon- kreten Wirkungsweise bisher noch nicht er- forscht. Ebenso entzieht sich die Existenz von Teufeln und Ginn - so wie viele Phänomene, deren Existenz aber unbestritten ist-empirisch-wissen- schaftlicher Nachprüfbarkeit. Diese Sura lehrt uns jedoch, daß es Regungen der Seele und Mächte gibt, die auf den Menschen Einfluß aus- üben, und Fähigkeiten, die sich z. B. in »Zauberei« äußern können. Menschen, die das Vorhanden- sein von Teufeln und Ginn zwar anerkennen, ihren Einfluß auf den Menschen jedoch leugnen, oder die sogar die Existenz von Teufeln und Ginn ganz ul Abrede stellen, sind Ungläubige, denn sie glauben nicht an das, was Allah (t) offenbart hat - nur weil sie es nicht Iln Sinne empirischer Wissenschaft beweisen oder »rational« erklären können. Die G1äubigen hingegen ziehen aus dieser Sura die Lehre, daß es Teufel, Ginn, »übersinnliche« Kräfte und seelische Einflüsse gibt, und daß es vor ihnen keinen Schutz gibt außer durch Isti'äda. Deshalb hat diese Sura für sie einen ganz besonderen Wert, und sie hat, zusammen mit der letzten Sura des Qur'an, als Schutz-Sura in ihrem Leben ihren festen Platz und ihre tägliche Bedeutung. Sie ermöglicht ihnen, im Vertrauen auf die Allmacht Allahs (t) frei von Angst und in Sorglosigkeit zu leben und erinnert sie an das, was der Prophet Muhammad (a.s.s.) sagte:

»Wisse, ciaß das, was dich verfehlte, dich nicht getroffen haben sollte, und daß das, was dich traf, dich nicht verfehlt haben sollte.«

Lehre:

1) Die Sura 113 (Al-Falaq, Das Morgengrauen) ist eine Schutz-Sura.

2) Es gibt Mächte und Vorgänge in der Schöpfung, die den Menschen nachteilig beeinflussen können.

3)Vìele Dinge entziehen sich bis heute der Kenntnis durch die Wissenschaft.

4) Eine wirksame Verteidigung gegen alles Ubel bietet diese Schutz-Sura in Verbindung mit der zweiten Schutz-Sura, Sura 114 (An-Nãs, Die Menschen).

5) Außer Allah (t) gibt es niemanden, den der G1äubige um Schutz bitten darf.

6) Allah(t) ist der Gebieter des gesamten Universums. Deshalb kann nur Er Übel abwenden.

7) Übel ist ein Begriff aus der Sicht des Menschen; aus der Sicht Allahs (t) ist alles von Ihm Geschaffene gut.

8) Die Macht des Teufels breitet sich besonders zur Nachtzeit aus.

9) Glaube ist wie Licht, Unglaube ist wie Dunkelheit.

10) Zauberei und Magie richten Schaden an und sind bei Todesstrafe verboten.

11) Der Neid gehört zu den Übeln, vor denen der G1äubige bei Allah (t) Schutz suchen soll.

12) Menschen, die an die Einflüsse der genannten Übel sowie an Teufel und an Ginn nicht glauben, sind Ungläubige.

Und Allah (t) weiß es am besten!