Weltanschauung und Leben im Islam

Muhammad Siddiq

Informationszentrale Dâr-us-Salâm 2001

2. Auflage
Das Urheberecht liegt beim Autor.
Hrsg.: Informationszentrale
D&acircr-us-Salâm
Redaktion: Tilmann Schaible

ISBN 3-932129-65-2
Dieser Vortrag wurde erstmals gehalten im April 1986 im Rahmen der Islam-Woche Darmstadt.



Weltanschauung und Leben im Islam:
Einführung
Was bedeutet Islam?
Alle Propheten rufen zum Islam auf
Es gibt keine Gottheit außer Allah
Was ist ein Muslim?
Islam ist eine Religion des Ausgleichs



Bismillâh



DIE WELTANSCHAUUNG UND LEBEN IM ISLAM



Ich möchte meine Ausführungen mit dem Satz beginnen, mit dem auch die Urkunde beginnt, durch welche sich Immanuel Kant 1755 gemäß den damaligen Bestimmungen als Magister der Philosophie habilitierte:

("Bismi-llâhir-rahmânir-rahîm" - Im Namen Allahs, des Allgnädigen, des Barmherzigen). So steht es in unbeholfen gemalten arabischen Schriftzeichen am Kopfe dieser Urkunde, genau dort, wo bei ähnlichen Urkunden jener Zeit "in nomine Jesu" stand.
Warum diese Ausnahme?
Warum beginnt die Habilitationsurkunde Kants gerade mit dem Satz, der auch zu Beginn einer jeden Qur'an-Sure, mit Ausnahme der neunten, steht und soviel bedeutet wie: "Im Namen Allahs, des Allgnädigen, des Barmherzigen"?
Eine Antwort darauf zu geben, fühle ich mich nicht in der Lage; eines jedoch steht fest: es handelt sich hier um eine Nachvollziehung dessen, was zur festen religiösen Gewohnheit eines jeden gut erzogenen Muslims gehört, nämlich die Nennung des Namens Gottes vor einer jeden Handlung. Denn genauso lehrte es uns der Prophet Muhammad (Gott segne ihn und schenke ihm Heil), wenn er sagte: "Jede Arbeit des Menschen, die er nicht im Namen Allahs, des Allgnädigen, des Barmherzigen, beginnt, wird ohne Belohnung bleiben."

Im Namen Allahs alles zu beginnen, darauf weist auch die erste Offenbarung hin, die dem Propheten Muhammad vor 1400 Jahren bei Mekka offenbart wurde, und die lautet:
"Lies im Namen Deines Herrn, der erschuf.
Den Menschen erschuf aus einem Embryo.
Lies! Dein Herr ist der Edelmütigste.
Der den Gebrauch der Feder lehrte.
Den Menschen lehrte, was er nicht wusste."

Allah ist der Erste und der Letzte, der Offenbare und der Verborgene; Er ist das einzig wirklich Existierende, von Dem alles Seiende erst sein "Sein" erhält und somit sollte alles "in Seinem Namen beginnen", auch mein unvollkommener Versuch, Ihnen, meine lieben Freunde, den Islam zu erklären. - Oder sollte ich lieber sagen: "Ihnen, meine lieben Freunde, den Islam näher zu bringen?" Oder sollte ich noch besser sagen: "Sie, meine lieben Freunde, vom Islam zu überzeugen?" - Aber nein, das ist wahrscheinlich zu viel verlangt. Was ich allerdings tun kann, und als Muslim auch tun muss, ist, Sie alle zum Islam aufzurufen; aufzurufen dazu, sich dem Einigen, Einzigen, Wahren Gott mit Herz, Seele und Körper zu unterwerfen. Und das und nichts anderes ist eben Islam: Der Versuch des vollkommensten, und doch so unvollkommenen Geschöpfs Gottes, das da Mensch heißt, sich seinem Schöpfer und Herrn zu nähern, um, in der Unterwerfung, Gottes Wohlgefallen zu erlangen.

Was bedeutet Islam?



"Islam" ist ein arabisches Wort und wird, wie fast alle Wörter im Arabischen, von einer konsonantischen Wurzel abgeleitet: "salama" - welche soviel bedeutet, wie: sich hingeben, sich ergeben, sich unterwerfen. Islam ist also die religiöse Ideologie der Hingabe (ich habe hier mit Absicht das Wort religiöse Ideologie benutzt, und nicht das Wort Religion), die religiöse Ideologie des sich Ergebens und Unterwerfens unter den Willen Gottes; und derjenige, der diesen Akt der Hingabe und Unterwerfung vollzieht, ist ein Muslim.

Aus diesem Grunde, meine lieben Freunde, hört es ein Muslim auch nicht gerne, wenn seine Religion Mohammedanismus und er selbst Mohammedaner genannt wird. Denn allzu leicht nur führt diese Benennung zu Missverständnissen und falschen Vorstellungen gegenüber dem Islam und den Muslimen, so wie wir es Tag für Tag erleben können. Und mit welchem Recht auch könnte man einen Muslim Mohammedaner nennen, wo doch Muhammad (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) nur einer in der langen Reihe der Propheten ist, an die der Muslim glaubt und zwischen denen er, gemäß einer qur'anischen Aussage, keinen Unterschied machen darf: In Sure 2:285 heißt es über die Gläubigen:
"...sie alle glauben an Allah, an Seine Engel, an Seine Bücher und an Seine Gesandten (und sprechen): 'Wir machen keinen Unterschied zwischen Seinen Gesandten'."

Außerdem ist der Name Islam gottgegeben, denn in Sure 5:3 spricht Allah zu den Gläubigen Folgendes:
"Heute habe Ich eure Glaubenslehre für euch vollendet und Meine Gnade an euch erfüllt, und Ich bin es zufrieden, dass ihr den Islam als Glaubens- und Verhaltenslehre habt." Und in Sure 3:19 spricht Allah: "Wahrlich, die Religion vor Allah ist der Islam."

Und in Sure 3:84 heißt es:
"Sprich, wir glauben an Allah und an das, was zu uns herabgesandt worden ist, und an das, was herabgesandt wurde zu Abraham und Ismail und Jakob und zu den Stämmen. Und wir glauben an das, was Moses und Jesus und den anderen Propheten gegeben wurde von ihrem Herrn. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen, und Ihm unterwerfen wir uns" - im Arabischen steht hier: "wa nahnu lahu muslimûn".

Und weiter heißt es: "Und wer eine andere Glaubenslehre sucht als den Islam: Nimmer soll sie von ihm angenommen werden." (3:85)

Bitte, meine lieben Freunde, stören Sie sich nicht an den Wort "Islam" in diesem qur'anischen Vers, wir könnten an seiner statt auch einfach das Wort mit ins Deutsche übersetzen, und dann heißt der Vers: "Und wer eine andere Glaubenslehre sucht, als die der Hingabe und Unterwerfung: nimmer soll sie von ihm angenommen werden."

Alle Propheten rufen zum Islam auf



So ist also der Islam nicht nur jene Religion und Ideologie, die Allah dem Propheten Muhammad (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) offenbarte, sondern Islam ist die Religion, die Glaubenslehre schlechthin, die Gott allen Propheten offenbarte, von Adam über Noah und Abraham bis hin zu Moses, Jesus und Muhammad. Und so heißt es im Qur'an in Sure 3:67 z.B. über Abraham: "Abraham war weder Jude noch Christ. Er war vielmehr ein Rechtgläubiger, ein Gottergebener (Muslim)."

Und Allah sagt über die Jünger Jesu in Sure 5:111: "Und als ich den Jüngern eingab, an Mich und Meine Gesandten zu glauben, sagten sie: 'Wir glauben! So bezeuge Du, dass wir Muslime (Gottergebene) sind.'" Und in Sure 10:72 werden die Worte Noahs (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) wiedergegeben: "Ich habe keinen Lohn von euch verlangt. Allah allein kommt für meinen Lohn auf. Und mir wurde befohlen, einer der Muslime zu sein."

Weil sich also Abraham dem Willen Gottes unterwarf und alles tat, um das Wohlgefallen Allahs zu erlangen, war er ein Muslim, genau so wie alle Propheten vor und nach ihm, und genau so wie alle, die diesen Propheten folgten: die Jünger Jesu genau so wie die Israeliten, die Moses aus Ägypten folgten, und die Gefährten des Propheten Muhammad (Gott segne sie alle und schenke ihnen Heil) genau so wie jeder Mensch zu jeder Zeit, der sich aufrichtig suchend Gott hingibt. Denn: "Suchet, so werdet ihr finden, und klopfet an, so wird euch aufgetan."

Alle Propheten, die Allah aus dieser Menschheit auswählte, wurden mit der gleichen Aufgabe betraut: Sie sollten den Menschen den Islam bringen. Sie sollten ihnen klar machen, dass der Mensch nur dann wirklich frei werden kann, frei vom Dienst an allen unwürdigen Götzen, wenn er sich freiwillig und mit ganzem Herzen Gott unterwirft, dem Einzigen, dem aller Dienst gebührt. Denn sobald sich der Mensch vom Dienst an Gott freimacht, wird er automatisch zum Sklaven eines Götzen, wie immer dieser auch heißen möge: Mammon, Sex, eigenes Ich (Ego) oder sonst wie.

Und so sagte der Prophet Noah in Sure 71:2-3: "Oh mein Volk! Ich bin euch ein deutlicher Warner, dass ihr Allah dient und Ihn fürchtet und Ihm Folgschaft leistet."

Und Abraham (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) sagt zu seinen Leuten in Sure 29:16: "Dient Allah und fürchtet Ihn. Das ist besser für euch, wenn ihr nur wüsstet!" Und der Prophet Jesus sagt in Sure 5:117 zu Allah: "Ich habe ihnen nur gesagt, was Du mir befohlen hast, (nämlich): 'Dient Allah, meinem und eurem Herrn!'"

Und der Prophet Muhammad sagt in Sure 2:21: "Oh, ihr Menschen, dient eurem Herrn, der euch erschaffen hat und diejenigen, die vor euch waren. Vielleicht werdet ihr dann gottesfürchtig."

Und in Sure 16:36 sagt Allah: "Und wir beriefen aus jeder Gemeinschaft einen Propheten (mit der Aufforderung): 'Dienet Allah und meidet die Götzen!'"

So ist also die Geschichte der Menschheit auch gleichzeitig die Geschichte des Islams in dieser Welt. Wann immer die Menschen eines Volkes ohne Leitung waren, weil die ursprüngliche Lehre verloren gegangen oder verfälscht war, dann erweckte Allah aus der Mitte dieses Volkes einen Gesandten, der die Aufgabe hatte, den Islam in seiner ursprünglichen Reinheit wiederherzustellen. Dies geschah so lange, bis die Menschheit in der Lage war, diese göttliche Ideologie in allen Einzelheiten aufzuzeichnen und zu bewahren, sodass von nun an jeder willige Mensch die Möglichkeit hatte, diese reine Lehre des Sich-in-Gott-Ergebens, aus der unverfälschten göttlichen Offenbarung heraus zu erkennen. Und aus diesem Grund heraus ist der Prophet Muhammad der Letzte in dieser langen Reihe der Propheten, denn nun stand ja die Lehre fest. Niemand konnte sie mehr verändern. Ein für alle Male war sie in den Herzen und Büchern bewahrt worden. Es bedurfte keines Propheten mehr. Wer immer zu Gott finden wollte, dem stand die unverfälschte göttliche Offenbarung in Form des Qur'ans zur Verfügung. Somit betont der Islam den einheitlichen Ursprung aller Religionen. Nach seiner Lehre sind dem menschlichen Geist, trotz seiner großen Möglichkeiten, bestimmte Grenzen gesetzt, die er weder mit den exakten noch mit den empirischen Wissenschaften überschreiten kann. So liegt für den Menschen das sichere Wissen um die letzten Wahrheiten - Woher komme ich?, Wohin gehe ich?, Warum bin ich hier? - jenseits dieser Grenzen, und die einzige Quelle, die dem Menschen für die Erreichung dieses Wissens offen steht, ist die göttliche Offenbarung, die ihm von Anbeginn der Zeit zur Verfügung stand. Die Propheten des Einen Gottes erschienen im Verlauf der Geschichte in jedem Land und bei jeder Gemeinschaft und überbrachten den Menschen die Weisungen Gottes. Nur konnte diese göttliche Ideologie nicht rein erhalten bleiben, und allein die letzte Offenbarung Gottes an den Propheten Muhammad ist, wissenschaftlich beweisbar, bis auf den heutigen Tag den Menschen unverfälscht zugänglich.

Alle Propheten, von Adam über Abraham, Moses, Jesus bis hin zu Muhammad, sind die Propheten eines Muslims, und er glaubt an sie und verehrt sie ohne Unterschied. Alle göttlichen Offenbarungen, von der Thora über die Psalmen und das Evangelium bis zum Qur'an, sind für den Muslim Offenbarungen des Einen Gottes; nur ist der Qur'an die letzte dieser Offenbarungen, und er beinhaltet all das, was der Mensch zu einem gottgewollten Leben benötigt.

Es gibt keine Gottheit außer Allah



"Lâ ilâha illa-llâh" - es gibt keine Gottheit außer Allah - ist die Botschaft, mit der alle Propheten zu den Menschen kamen. "Lâ ilâha illa-llâh" ist somit auch der grundsätzlichste und wichtigste Bestandteil der islamischen Lehre. Die sogenannte Kalima - das Glaubensbekenntnis des Muslims.

Es gibt keine Gottheit außer Allah. Dieser kurze, aus nur vier Wörtern bestehende Satz ist die Grundlage der tauhidischen Lehre - des Eingottglaubens. Der Islam bietet uns ohne Zweifel die reinste Form des Monotheismus, und es gibt nichts, was diesen absoluten Monotheismus besser zum Ausdruck bringen kann, als dieser (schon allein phonetisch) so wunderschön klingende Satz. Er beginnt mit der absoluten Verneinung "lâ" - es gibt nichts -, in Verbindung mit "ilâha" - Gottheit - zerstört er alle falschen Gottesvorstellungen und alle vom Menschen geschaffenen Götzen: Es gibt keine Gottheit! Alles, was ihr angebetet habt, ist nicht wert, angebetet zu werden! Alle, von denen ihr glaubtet, dass sie irgendwelche wenn auch noch so begrenzte Macht besitzen würden, sind machtlos und ohne jeden Einfluss! "Lâ ilâha" zerstört alle von Menschen gemachten bzw. durch menschlichen Einfluss veränderten Philosophien, Ideologien und Religionen, und mit "illa-llâh" - außer Allah (Gott) - wird an der Stelle der durch den ersten Teil des Glaubensbekenntnisses zerstörten falschen Religionen nun die einzig richtige Glaubensvorstellung aufgebaut. Man kann nicht durch die Beschneidung der Äste eines Dornenbusches aus diesem einen Granatäpfel tragenden Obstbaum machen - man muss vielmehr den Dornenbusch entfernen und an seine Stelle den Granatapfelbaum pflanzen. Und genau so war es mit den falschen Glaubensvorstellungen, die z.B. zur Zeit des Propheten Muhammad in Arabien herrschten: Sie mussten erst einmal aus den Herzen der Menschen entfernt werden, bevor der klare und unverfälschte Eingottglaube seinen Platz finden konnte. Und die Araber - ob einfache Wüstenbewohner oder Stadtbewohner -, die diesen kurzen Satz hörten, verstanden, dass dieser Satz eine Revolution bedeutete. Eine Revolution, nicht nur in den Glaubensvorstellungen, sondern eine Revolution auch des gesamten privaten und gesellschaftlichen Lebens. Denn dieser Gott, der durch "illa-llâh" wieder seinen richtigen Platz in den Glaubensvorstellungen der Menschen erhielt, war nicht nur "al-khâliq" - der Schöpfer aller Dinge, der alles, was wir sehen und was wir nicht sehen, durch die einfache Formel "kun" - "sei" geschaffen hat, und "al-musawwir" - der Former und Gestalter, der jedem Geschöpf seine Form gegeben hat und auch noch gibt, sondern dieser Gott ist auch gleichzeitig der einzig zu Recht Angebetete und Verehrte, dem allein aller Lob und Preis gebührt, und der niemanden und nichts, auch keinen Sohn, neben sich hat.

Dieser Gott war nicht nur "al-qâdir" - der Besitzer aller Macht und Autorität, von welchem alle Gesetze ausgehen und der die einzige Quelle des gottgewollten Systems des Islam ist, dessen Gesetze von allen anerkannt werden müssen, und niemand, auch die vereinte Menschheit nicht, darf sich über die von Ihm erlassenen Gesetze hinwegsetzen, ohne dadurch an Leib und Seele Schaden zu nehmen. Und Er ist auch nicht nur "al-mâlik" - der Herr und Herrscher, vor dessen absoluter Herrschaft alle Menschen gleich sind, und dem allein man sich zu unterwerfen hat, sondern Er ist auch gleichzeitig "al-wadûd" - der Liebevolle und der alles mit seiner Liebe Umfassende, aus und durch dessen Liebe alles existiert und lebt. Und er ist "al-walî" - der Freund eines jeden, der Ihn zum Freund nehmen will. Und "ar-rahîm" - der Allbarmherzige, der über sich selbst im Qur'an 7:156 sagt: "Meine Barmherzigkeit umfasst alles." Dieser Gott war nicht nur "al-'azîz" - der Allmächtige, dessen Ratschluss sich niemand widersetzen konnte, sondern er war auch gleichzeitig "as-salâm" - die Quelle des Friedens, dem sich zu unterwerfen die Erreichung des inneren Friedens bedeutet. Und nur die Gesellschaft oder Gemeinschaft, die Seine Anordnungen befolgt, findet wirklichen Frieden. Auch der oft besprochene Weltfrieden kann nur dann erreicht werden, wenn alle Geschöpfe Gott als solchen anerkennen. Denn solange Einzelne oder Gemeinschaften anderen Göttern folgen - seien diese Götter nun aus Steinen erbaute Götzen, der Mammon, der Sex, die Wissenschaft oder der Mensch selbst - solange kann es keinen wirklichen Frieden auf dieser Welt geben, denn die einzige Quelle des Friedens ist Gott. Und dieser Gott war nicht nur "al-muntaqîm" - der Geber angemessener Strafe, sondern auch gleichzeitig "at-tawâb" - der die Reue Seiner Diener Annehmende, und "ar-ra'ûf" - der Mitleidige, und "al-'afûf" - der Auslöscher der Sünden, aber Er war auch "al-'adl" - der Gerechte, der jeden Menschen mit absoluter Gerechtigkeit richten wird, und "al-hakam" - der weise Richter. Allah ist also der Eine Gott: Er ist unteilbar und hat niemanden neben sich. Er ist unvergleichlich und nichts ist ihm auch nur ähnlich. Er ist der Erste, der Letzte, der Ewige, der Unendliche, der Allmächtige, der Allwissende. Er ist der Schöpfer und Erhalter aller Dinge. Er ist der Gerechte, der Barmherzige, der Gnädige, der Liebende, der Freund, der Erhabene, der Preiswürdige, die Wahrheit. Er ist der Inhaber und Besitzer aller Vollkommenheiten.

Alle diese und noch andere im Qur'an erwähnten Eigenschaften Gottes müssen in ausgewogener Weise betrachtet werden, ohne dass die eine Eigenschaft zugunsten einer anderen vernachlässigt oder zum Schaden einer anderen überbetont wird; denn Gott hat sich alle diese Eigenschaften selbst gegeben.

Was ist ein Muslim?



Aber kommen wir nun zum Menschen, denn nur durch ihn wird ja der Islam in dieser Welt manifestiert und nur für ihn hat Allah seinem Propheten diesen Islam offenbart. Bei einem Menschen, der an einen solchen wie gerade beschriebenen Gott aufrichtig glaubt, muss jede dieser erwähnten Eigenschaften Gottes ihren Einfluss auf die Bildung seiner Persönlichkeit ausüben. Jede dieser von Gott über sich selbst im Qur'an erwähnten Eigenschaften muss zu einer direkten Reaktion im persönlichen und gemeinschaftlichen Verhalten eines jeden führen, dessen Glaube nicht nur Zungenbekenntnis ist. Die Eigenschaften Gottes müssen sich unweigerlich in der Persönlichkeit eines gläubigen Muslims widerspiegeln, und deshalb wurde gesagt: "takhallaqû bi akhlâqi-llâh" - "Bildet eure Persönlichkeit aus den Eigenschaften Gottes." Es darf jedoch niemals daraus verstanden werden, dass der Mensch gottgleich oder auch nur gottähnlich werden könnte, sondern die wahre Bedeutung dieses weisen Befehls ist, wie schon erwähnt, dass sich die Eigenschaften Gottes in den Worten und Taten des Gläubigen widerspiegeln sollen.

Muslim sein (werden) bedeutet, alle materiellen, weltlichen und nichtgöttlichen Maßstäbe abzulehnen und sich selbst und den anderen nur noch mit dem einzig gültigen göttlichen Maßstab zu messen. Unterschiede wie Arm und Reich, Weiß und Schwarz, Herr und Diener, Deutscher und Inder werden unwichtig und für aufgehoben erklärt. - Und an ihre Stelle tritt die Unterscheidung gemäß dem göttlichen Maßstab: nach Gottesfurcht, nützlichem Wissen und guten Taten. Und niemand darf aufgrund anderer Unterscheidungen bevorzugt oder benachteiligt werden.

Muslim sein (werden) bedeutet auch, Gott als die einzige Quelle aller Gesetze anzuerkennen. Auch die von 90% der Bevölkerung gewählte Regierung hat nie das Recht, auch nicht mit absoluter oder Zweidrittelmehrheit, etwas zu verbieten, was Gott erlaubt hat, bzw. etwas zu erlauben, was Gott verboten hat. Jeder Herrscher, jede Regierung, jeder Einzelne ist immer nur ausführende Gewalt, denn Gesetze zu geben steht allein Gott zu.

Muslim sein heißt, die Gleichheit aller Menschen anzuerkennen, nicht nur mit dem Wort, sondern auch - oder vor allem - durch die Tat. Alle Menschen haben die gleiche Herkunft und alle werden wieder zu Erde werden. Niemand hat das Recht, sich aufgrund seiner Hautfarbe, seines Familienadels oder sonst eines Unterschieds über einen anderen zu erheben. Alle stehen nebeneinander unter Gott. So, wie die Muslime im Gebet ohne Rangunterschied nebeneinander stehen, und so, wie sie während der Pilgerfahrt alle die gleiche Kleidung tragen, und so, wie sie alle bei ihrem Tode in nichts weiter als einem weißen Tuch begraben werden, genau so sollen sie auch im Leben Schulter an Schulter, Hand in Hand zur Verbesserung der menschlichen Gesellschaft beitragen, ohne jeden Rangunterschied.

Muslim sein bedeutet schließlich, dass sich der Mensch dadurch, dass er sich Gott allein unterwirft, von jeglichem Götzendienst befreit. Ein Muslim kann weder der Diener des Geldes noch der Diener eines anderen Menschen noch der Diener seiner eigenen Triebe sein. Dadurch, dass er sich dem einzig Dienenswürdigen freiwillig unterworfen hat, hat er sich aus dem Dienst aller dienstunwürdigen Götzen freigekauft. Und genau das wollte der Gefährte des Propheten ausdrücken, als er dem persischen Feldherrn sagte: "Wahrlich, wir sind gekommen, um die Menschen von Dienern der Sklaven zu Dienern Gottes zu machen, und um sie von der Verwirrung der Religionen zur Gerechtigkeit des Islams zu führen, und um sie aus der Enge (ihrer) Welt in die Weite der göttlichen Welt zu leiten."

Muslim sein heißt, sich völlig zu unterwerfen, aber diese Unterwerfung ist in Wirklichkeit der Sprung in die Freiheit, denn ein Mensch kann sich nur dann von aller, des Menschen unwürdigen, Versklavung befreien, wenn er diese freiwillige Unterwerfung unter den Willen Gottes vollzieht. Freiwillig hat er sich unterworfen und somit jeder unfreiwilligen Versklavung den Weg verbaut.

Ein Mensch, der sich völlig Gott unterwirft, ist der einzige wirklich freie Mensch. Muslim sein bedeutet auch Revolutionär sein, denn der Islam ist die einzige wirklich permanente Revolution: Die Revolution gegen alles Unrecht und alles Schlechte und für das Recht und alles Gute. Da das Schlechte - das Dasein des Schlechten - eine menschliche Realität ist, wird und muss es immer da sein, denn selbst das Schlechte hat seine positiven Aufgaben. Und weil das Schlechte immer vorhanden sein wird und der Muslim die Pflicht zur Beseitigung des Schlechten hat, muss er immer Revolutionär sein. Ein Muslim muss versuchen, alles Übel in sich und in der Gesellschaft auszurotten, durch gutes Beispiel und hilfreichen Ratschlag, wenn es sich um ein passives Übel handelt, und durch revolutionäre Methoden, wenn er es mit einer aktiven, schlechten Kraft zu tun hat.

Selbst die kommunistische Revolution erreicht der Theorie nach einmal eine Endphase. Die islamische Revolution jedoch ist immer während und täglich anwesend.

Muslim sein bedeutet nicht, seine Triebe zu unterdrücken oder auszuschalten, nur um Gott zu gefallen, wie es ein christlicher Asket tut, oder um damit der Gesellschaft zu dienen, wie es der Kommunismus von den Menschen verlangt. Es bedeutet aber auch nicht, ein hegelscher Übermensch zu sein, noch bedeutet es, seinen Trieben völlig freien Lauf zu lassen.

Islam ist eine Religion des Ausgleichs Nach oben



Allah hat dem Menschen diese Triebe gegeben, in großer Weisheit, da sie für die Erhaltung und Verbesserung der menschlichen Gemeinschaft unbedingt nötig sind. Ihre absolute Unterdrückung würde nur negative Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gemeinschaft haben, ja zu deren Untergang führen. Aber auch das "zügellos laufen lassen" der Triebe würde zum gleichen Ergebnis führen. Lebenstrieb, Geschlechtstrieb, Esstrieb, Machttrieb, Besitztrieb - alle sind unbedingt nötig für die menschliche Fortentwicklung. Deswegen kam der Islam - nicht um sie zu unterdrücken, sondern um sie in die richtigen Bahnen zu leiten. Dies macht es verständlich, sagt Muhammad Asad in seinem Artikel "Islam und Zeitgeist", warum nicht etwa der asketische Heilige den idealen Menschentypus im Islam versinnbildlicht, sondern vielmehr der Mensch, in dem all die angeborenen geistigen und auch weltlichen Eigenschaften zum höchsten Ausdruck gelangen. Und somit befasst sich also der Islam nicht nur mit der Erlösung im Jenseits, sondern er richtet sein Augenmerk in gleichem Maße auch auf das diesseitige Leben. Sittliche Vollkommenheit, sozialer Fortschritt, wirtschaftliche Gerechtigkeit, zwischenmenschliche Liebe und Barmherzigkeit, politische Dauerhaftigkeit und Frieden sind Ziele, die der Islam zur Erreichung wahren menschlichen Glücks in diesem Leben zu verwirklichen sucht. Und dafür gab Gott der Menschheit mit dem Islam ein vollständiges Rechtssystem, denn obwohl sich der Islam an das Geistige im Menschen wendet und ihm vor allen Dingen ein ethisches Ideal bietet, lehnt er doch die Bedeutung des Materiellen im Leben des Menschen in keiner Weise ab. Die islamische Gesetzgebung vereint harmonisch geistige und materielle Elemente. Ob ein Muslim in der Moschee betet, auf dem Markt seine Ware verkauft, Staatsgeschäfte leitet, zu Gericht sitzt oder im Kreis seiner Familie ist, immer wird seine Handlungsweise von dem einen, ewigen und immer gültigen Gesetz Gottes bestimmt, von dem Gesetz, dessen Hauptgrundlagen in der göttlichen Offenbarung, dem Qur'an, und in den Aussprüchen des Propheten Muhammad (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) niedergelegt sind, und welches der muslimischen Gemeinschaft zu jeder Zeit einen breiten Spielraum für Interpretationen einräumt.

Lassen Sie mich meine Ausführungen mit den Worten eines Mannes schließen, der zu den hervorragendsten Persönlichkeiten der deutschen Kultur zählt: Goethe hat einmal gesagt:

"Wenn Islam Gott ergeben heißt,
Im Islam leben und sterben wir alle!"

@ Ekrem Yolcu

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