Das Islamische Wirtschaftsmodell

Offene Märkte / Gold und Silber / Zakat

Die ursprüngliche islamische Lebensweise ist ein erstaunliches Phänomen. Seit jeher umfaßt sie einen Kosmos des Wissens und der gesellschaftlichen Verantwortung des Menschen. Das Wirtschaftsleben einer Gesellschaft ist von wesentlicher Bedeutung für ihren Zustand und ihr Wohlergehen. Die Lebenspraxis des Islam ist ein einfaches, zeitlos praktikables Verfahren, das zu Gerechtigkeit in jedem Lebensbereich führt. Die Wirtschaft, d.h. der Handel der Muslime ist von jeher ein Instrument der Zivilisation und der natürlichen Verbreitung des Islam gewesen. Heute, angesichts von weltweiten Handelskriegen, Embargos, Monopolherrschaften und galoppierenden Staatsverschuldungen aller Länder der Erde, kann der Handel der Muslime erneut diese Rolle übernehmen. Wie es schon früher im europäischen Mittelalter geschehen ist, wird man auch heute wieder auf das islamische Wirtschaftsmodell zurückgreifen müssen, wenn man Wohlstand mit Gerechtigkeit verbinden und einen zunehmenden wirtschaftlichen Abgrund zwischen reichen und verarmten Ländern vermeiden will. Die Einführung der Kommanditverträge im Europa des 10. Jahrhunderts war beispielsweise einer der wichtigsten Einflüsse für das Wirtschaftsleben jener Zeit. Der Ursprung der Kommanditverträge stammt von den arabischen Händlern, die darin dem Vorbild der besten Gemeinschaft in Madina, der Stadt des Gesandten Allahs, sallallahu ´alaihi wa sallam, gefolgt sind. Sie waren ein Instrument des Investments, das die Rechte der beteiligten Partner ausreichend festlegte und sie auf gleichberechtigter Grundlage an ihre Verpflichtungen band, ohne daß eine Seite sich über die andere einen Vorteil verschaffen konnte. Das islamische Währungssystem (der Gold- und Silberwährung) wurde damals in ganz Europa benutzt. Die Münzgehalt der Muslime galten als rein und stand somit für das Vertrauen, das damals die Menschen in Europa den islamischen Handelspraktiken entgegenbrachten. Das hochentwickelte islamische System der Gilden setzte sich in allen Städten Europas durch. Die islamische Auffassung von Brüderlichkeit, das Waqf-System (Stiftungen), das Erziehungs- und Bildungssystem der Muslime und ihr Rechtswesen suchte man in jener Zeit in vielen Städten Europas auf die jeweiligen Gegebenheiten zu übertragen. Auch heute, vierzehnhundert Jahre nach dem Vorbild von Madina, gibt es heute in Europa neue Ansätze, die Grundlagen islamischer Wirtschaft praktisch anzuwenden. Die Islamische Welthandelsorganisation (IWHO), eine Organisation unter der Führung europäischer Muslime, mit Vertretungen in Großbritannien, Deutschland, Spanien und der Schweiz errichtet derzeit ein Netzwerk von islamischen Märkten in Europa. Mithilfe von modernen internationalen Handels-Karawanen, sollen diese eine Alternative zu den zunehmend kritisch beurteilten Großmärkten auf der grünen Wiese darstellen, die ihrerseits die Innenstädte veröden. Damit soll gerade auch das Bild der Muslime wieder zu einem Symbol der Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Menschen werden. Darüberhinaus erhalten entfernt liegende Länder der traditionellen Muslime einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Die IWHO entwickelt momentan verschiedene Projektbereiche: · Ein europaweites Netz von Offenen Märkten, in denen das islamische Handelsrecht gilt. · Offene Verteilungs-Netzwerke: moderne Produkt-Karawanen · Offene Produktionsgemeinschaften: Gilden · Einrichtung eines islamischen Marktgerichts · Offenes Währungssystem (Gold-und Silbermünzen) DER OFFENE ISLAMISCHE MARKT Der Markt ist - wie damals in Madina - eine leere (in nördlichen Breiten: überdachte) Fläche, die sich morgens mit Händlern jeder Größe füllt und die abends nach dem Abendgebet wieder völlig frei geräumt sein muß, damit am nächsten Morgen jeder Händler erneut freien Marktzugang hat. Keine Standortrechte, keine Standgebühren, keine Privilegien, keine zusätzliche Besteuerung der Händler. Damit hat jedes Unternehmen, groß oder klein, seinen Absatz. Jeder Arbeitslose kann so ohne weiteres auf diesem Markt sein eigener Unternehmer werden, indem er für einen Produzenten ein Produkt bzw. eine Dienstleistung anbietet. Die Markthalle trägt sich finanziell aus den geringen Gebühren, die manche Händler für angeschlossene gemietete Lagerflächen bezahlen. Das europaweite Netz dieser Offenen Märkte wird reihum besucht von ... PRODUKTKARAWANEN Sie versorgen einen Markt mit Produkten aus aller Herren Länder und stellen somit die Warenvielfalt, d.h. die Attraktivität des Marktes sicher. Eine Karawane besteht sinnvollerweise aus mehreren Händlern der gleichen Branche. In Gemeinschaft ist man sicherer unterwegs und wirtschaftlich potenter. Eine solche durch ihre Branche verbundenen Gemeinschaften von Händlern nennt man seit je her ... GILDEN Sowohl Dienstleistungen (Schuhmacher, Schlüsseldienst etc.) als auch Händler einer bestimmten Branche finden sich zusammen, um ihre Dienstleistungen bzw.Waren effektiver organisiert auf Märkte bringen zu können. Für die Wahrung der Qualität einer Dienstleistung bzw. eines Produktes sorgt die Einrichtung eines allgemein anerkannten Gildenmeisters. Die gildenübergreifende, unabhängigen Schiedsstelle auf jedem Markt ist das ... MARKTGERICHT. Es besteht aus einer oder mehreren Personen, die geschult im Fiqh des islamischen Handelsrechtes, in der Lage sind unmittelbar und unbürokratisch Streitfälle zu schlichten, um sowohl die Marktfreiheit, als auch den Marktfrieden zu schützen. Sie achten darauf, daß sich der Markt im Rahmen der Schari´a bewegt. Und darüber hinaus vor allem darauf, daß weder Händler noch Kunden, in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, mit jeder (erlaubten) Ware, d.h. auch mit jedem (vom Käufer und Verkäufer freiwillig akzeptierten) Zahlungsmittel zu handeln. Sobald dies eine ausreichende Verbreitung gefunden hat, führt dies zur Sunna des Gesandten Allahs, sallallahu ´alaihi wa sallam, d.h. zu einem ... OFFENEN WÄHRUNGSSYSTEM Demnach kann jede Ware als Zahlungsmittel fungieren, auf das sich Käufer und Verkäufer freiwillig einigen. Auf natürliche Weise gelangt man so wieder zu Geld, das einen tatsächlichen, ihm innewohnenden Wert hat (Kurantgeld). Sowohl in Madina, als auch zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte, waren dies Gold- und Silbermünzen.) In Holland, in der Schweiz und in Großbritannien wird damit begonnen, diese bewährten Wirtschaftsformen praktisch umzusetzen. Mehr Information zur praktischen Umsetzung der Idee eines Islamischen Marktes in einem Beitrag der Juli-Ausgabe.

ISLAMISCHE ZEITUNG, Nr: 1, 1995