Hintergrund:
Wie wird die Zakat richtig erhoben?
Die neue IZ-Reihe über
den Alltag der Muslime in Deutschland - Yasin Alder, M. Özkan und S. Wilms
(iz) Dass die Zakat, die man als verpflichtende
Sozialabgabe bezeichnen kann, zu den Fünf Säulen des Islam gehört, neben
Glaubensbezeugung, Gebet, Fasten im Ramadan und der Hadsch, wissen die meisten. Damit ist
sie auch eine Handlung der Anbetung, eine Ibada. Anders als bei den anderen Säulen
haben aber leider viele Muslime heute oft nur geringe Kenntnisse über die Zakat, sodass
manche Autoren die Zakat schon als die vergessene Säule des Islam bezeichnet
haben. Für viele ist sie nur eine Spende, die einmal im Jahr in einer bestimmten,
berechneten Höhe zu geben ist. Sie ist aber eine Pflichtabgabe, die gemäß dem
islamischen Recht nicht vom Einzelnen gegeben, sondern genommen, also von einer dazu
berechtigten Autorität eingesammelt und verteilt werden muss.
Grundlegendes
zur Zakat
Das Wort
Zakat kommt von der Wurzel zakka, was reinigen beziehungsweise
etwas reinigen bedeutet, wie auch tazakka, sich selbst
reinigen. Man kann also sagen, dass die Handlung der Zakatentrichtung eine Reinigung
ist. Sie wird deshalb so genannt, weil sie das Vermögen des Gebenden reinigt und der
Gebende deshalb durch Allah Zuwachs erhält, da Allah durch das Bezahlen der Zakat seine
Rangstufe bei Ihm erhöhen wird. Allah sagt im Quran: Nimm Sadaqa von ihrem
Vermögen, um sie dadurch zu reinigen und zu säubern. (At-Tauba, 104) Die
Qur'an-Gelehrten sind sich einig, dass hier mit Sadaqa tatsächlich Zakat
gemeint ist. Allah befiehlt hier Seinem Gesandten, Zakat von den Menschen zu nehmen -
nicht den einzelnen Menschen, sie zu geben.
Die Zakat
zu entrichten, ist eine Verpflichtung für jeden Muslim (Fard Ain), sofern man über
eine bestimmte Menge an Besitz verfügt, die eine bestimmte Grenze (Nisab) überschreitet
und eine festgelegte Zeit (diese variiert je nach Ware, beträgt aber in der Regel ein
volles Mondjahr) abgelaufen ist. Es ist auch verpflichtend, daran zu glauben, dass die
Zakat eine absolute Pflicht ist. Die Wichtigkeit der Zakat für das Gesamtgebäude des
Islam wird daraus ersichtlich, das Allah ihr an fast 30 Stellen im Quran durch die
gemeinsame Nennung mit dem Gebet den gleichen Stellenwert wie dem Gebet gegeben hat. Die
Stellen, in denen die Zakat alleine erwähnt wird, sind hingegen deutlich weniger. Salat
[das verpflichtende Gebet] und Zakat sind Geschwister, sie gehören zusammen, sagt
dazu der Gelehrte Dr. Asadullah Yate aus Potsdam.
Zakat ist
eine Vermögensabgabe, die auf bestimmte Formen des Besitzes erhoben wird: Gold und
Silber, haltbare, ortsübliche landwirtschaftliche Güter, Vieh und Waren. Über ihre
Verteilung findet man im Quran folgendes: Die gesammelte Zakat ist für die
Armen; die Mittellosen; diejenigen, die sie einsammeln; um die Herzen der Leute nahe zu
bringen; für die Befreiung von Sklaven; die Verschuldeten; die Ausgabe auf dem Wege
Allahs und die Reisenden. Dies ist eine Vorschrift von Allah. Allah ist Allwissend,
Allweise. (At-Tauba, 60)
In einer
Überlieferung vom Propheten berichtete Ibn Abbas, einer der großen
Gefährten des Propheten: Der Gesandte Allahs sandte Muadh in den Jemen und
wies ihn an: Ruf sie auf, zu bezeugen, dass es keinen Gott gibt außer Allah und
dass ich der Gesandte Allahs bin. Wenn sie dem folgen, dann unterweise sie, dass Allah
ihnen Tags wie Nachts fünf Gebete verpflichtend gemacht hat. Wenn sie dem folgen, dann
lehre sie, dass Allah befohlen hat, die Zakat von ihrem Vermögen zu nehmen und diese den
Armen zu geben. Wie Zakat zahlen?
Auf die
Einzelregelungen zur Zakat kann hier natürlich nicht erschöpfend eingegangen werden.
Erwähnt werden soll aber, dass die Zakat auf finanzielles Vermögen gemäß der
klassischen Rechtsauffassung eigentlich in Gold und Silber gezahlt werden muss, und nicht
mit Papiergeld. Bei letzterer Zahlungsweise handelt es sich eigentlich um eine Ausnahme -
eine Notlösung, angesichts der heutigen Gegebenheiten. Der Gelehrte Abdalhaqq
Bewley betrachtet Papiergeld gemäß seiner ursprünglichen Funktion als Schuldscheine,
die keinen eigenen Wert an sich besitzen: Die Muslime sollten das Papiergeld von der
rechtlichen Perspektive der Darura betrachten - als etwas Unangenehmes, das
kein Muslim benutzen würde, es sei denn, er wird unbedingt dazu gezwungen, und ebenso als
eine Sache, für die bei der ersten Gelegenheit ein Ersatz gefunden werden muss, der halal
[erlaubt] ist. Ebenso eine Ausnahme ist es, dass Zakat individuell gegeben anstatt
von einer Autorität genommen wird. Nach Auffassung von Gelehrten handelt es sich dabei
nicht um die eigentlich korrekte Weise, diese Säule des Islam einzurichten, und es sollte
angestrebt werden, die Voraussetzungen für eine korrekte Einnahme und Verteilung der
Zakat zu schaffen.
Die
gegenwärtige Praxis
Heute
findet man oft, dass Muslime, die sich bemühen, ihrer Verpflichtung zur Zakat
nachzukommen, ihre Zakat mit Hilfe von Broschüren und dergleichen selbst berechnen und
dann beispielsweise einer muslimischen Hilfsorganisation überweisen. Einzelne dieser
Organisationen bieten auf ihren Webseiten sogar eine Funktion zum Berechnen an. Ob
Hilfsorganisationen nach islamischem Recht überhaupt berechtigt sind, Zakat einzunehmen,
ist jedoch umstritten. Das European Council for Fatwa and Research, ein
Gelehrtengremium unter Leitung von Dr. Yusuf Al-Qaradawi, das den Anspruch erhebt,
Antworten auf rechtliche Fragen der Muslime in Europa zu beantworten, sieht dies als
zulässig an, mit der Begründung, dass bei Fehlen einer zentralen Autorität der Muslime
die Verpflichtung zur Entrichtung der Zakat weiter bestehe und man dieser nachkommen
müsse, so gut man eben könne. Ebenso sammeln verschiedene muslimische Organisationen,
etwa Verbände, denen Moscheevereine angegliedert sind, Zakat ein. Dabei darf aber
natürlich die Zakat nicht etwa zum Erhalt der jeweiligen Organisation oder deren
Strukturen oder Tätigkeiten verwendet werden, sondern nur an die genannten acht
Kategorien von Empfängern gehen. In Deutschland sammelt etwa die Islamische
Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in den mit ihnen verbundenen Moscheevereinen Zakat
ein. Näheres dazu, auch über die Verteilung dieser Gelder, war leider nicht in Erfahrung
zu bringen, da die Organisation auf eine entsprechende Anfrage leider nicht antwortete.
Die Zakat
ist also im Grunde eine öffentliche und gemeinschaftliche Angelegenheit, keine private.
Abdalhaqq Bewley sagt dazu: Die Fiqh-Bücher aller Rechtsschulen, wie auch die
Bücher der muslimischen Geschichte belegen, dass die Verbindung zwischen der
Verpflichtung zur Zahlung der Zakat und dem sozialen Netz der Muslime evident ist. Die
zentral bestimmte Einnahme und Verteilung wird in der gesamten traditionellen Literatur
als das allgemein Übliche angesehen. Heute hat sich jedoch der Zustand, dass Zakat
selbst gegeben wird, schon so verfestigt, dass beispielsweise in dem unter türkischen
Muslimen populären Islam-Handbuch Büyük Islam Ilmihali von Ömer Nasuhi
Bilmen auch nur noch vom Geben der Zakat die Rede ist.
Lokal oder
global?
Was die
Verteilung der Zakat angeht, so sollte diese nach übereinstimmender Rechtsauffassung in
erster Linie vor Ort, also lokal erfolgen, es sei denn, es ist nicht möglich, da es vor
Ort keine der im Quran definierten acht Kategorien von Empfängern gibt. Dies wird
auch von dem bereits erwähnten European Council bestätigt, das in einer
Fatwa mit Verweis auf die entsprechende Mehrheitsmeinung der Rechtschulen darauf hinweist,
dass Zakat nur ins Ausland geschickt werden solle, wenn im Inland kein Bedürfnis dafür
bestehe. Außerdem sollten die Muslime laut dieser Fatwa auch Teile ihrer Zakat
islamischen Institutionen geben, die sich der Schaffung notwendiger Infrastruktur vor Ort
verschrieben haben, obgleich diese eigentlich nicht zu den Kategorien von
Zakat-Empfängern zählen. Auch den im Ausland tätigen Hilfsorganisationen ist die
Priorität der Verteilung vor Ort durchaus bekannt. So heißt es in einem Info-Text zur
Zakat von muslime helfen: Die islamischen Gelehrten sind sich einig, dass die
Priorität bei der eigenen Gemeinde anzusetzen ist. Sind die Bedürfnisse innerhalb der
Gemeinde gestillt, kann ein Teil der Zakat anderweitig eingesetzt werden (zum Beispiel
notleidende Verwandte, Menschen in Katastrophen- und Krisengebieten). Allerdings
nimmt muslime helfen keine Zakat an. Anders Islamic Relief, die dies tun. Der
Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland, Tarek Abdelalem, sagte kürzlich in
einem IZ-Interview zu dieser Frage: Grundsätzlich ist unsere Zielsetzung, Hilfe
für Bedürftige im Ausland zu leisten. Aber wir müssen auch umdenken und auch
hierzulande Hilfe leisten. Die Idee zu sozialen Aktivitäten in Deutschland besteht bei
uns bereits seit langem. Inzwischen geht bereits 30 Prozent des von uns eingesammelten
Zakat-Geldes an Bedürftige in Deutschland.
Bei einer
Einsammlung und Verteilung der Zakat vor Ort kann eine lokale Identität der Muslime
entstehen, die weniger als bisher auf die Herkunftsländer bezogen ist. Die Notwendigkeit
der Einsammlung und Verteilung an die im Qur'an erwähnten Kategorien von Empfängern und
die Notwendigkeit, diese zu ermitteln, würde auch dazu führen, dass die Muslime sich
lokal besser kennen. Die Verteilung von Zakat gewinnt nicht zuletzt angesichts des immer
dünner werdenden Netzes der sozialen Sicherung eine steigende Relevanz, wie auch
islamische Stiftungen, Märkte und generell wohltätige und soziale Aktivitäten in bester
islamischer Tradition.
Letztlich
zeigt sich gerade auch an der Zakat, wie auch in anderen Punkten, dass, um den Islam
richtig zu leben, das Vorhandensein einer Gemeinschaft notwendig ist. Jedem Muslim ist
daher zu empfehlen, eine solche zu suchen oder aber eine zu bilden. In einer
individualisierten, vereinzelten und rein auf die Kleinfamilie beschränkten Lebensweise
ist der Islam nun einmal nicht umfassend erfahrbar.