Wir haben Prof. Khallouk
über den interreligiösen Dialog, den Konflikt zwischen Palästina und Israel, über den
islamischen Fundamentalismus, seine Tätigkeit beim ZMD und seine Bücher befragt. Möchte
Bruder Mohammed nochmal meinen Dank für seine Zeit aussprechen. Ohne seine Antworten
vorwegnehmen zu wollen, übergebe ich ihm gleich das Wort.
Freue mich auf Ihre
Kommentare und Anregungen zu diesem so vielfältigen und interessanten Interview.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi
– ProMosaik e.V.
Dr. phil. Milena
Rampoldi: Du giltst als ein aufgeklärter Muslim und ein Mann des Dialogs zwischen dem
Islam und dem Westen. Welche Grundregeln hat für dich ein gesunder Dialog zwischen dem
Islam und dem Westen?
Prof. Mohammed Khallouk:
Beide Dialogpartner sind verpflichtet, ein Basiswissen über die jeweils andere
Zivilisation in den Dialog mitzubringen. Westliche Dialogteilnehmer sollten bereits im
Vorhinein Kenntnisse über die Grundlagen des Islam und den Alltag in islamischen
Gesellschaften besitzen. Ebenso verlangt es von muslimischen Dialogteilnehmern bereits vor
dem Eintritt in den Dialog sowohl über die theoretischen Grundlagen der westlichen
Zivilisation als auch über die heutige westliche Gesellschaft informiert zu sein. Der
Dialog sollte frei von Missionierungsabsichten und ideologischer Voreingenommenheit sein.
Aktuelle politische Konflikte und ihre Verantwortlichkeiten sowohl auf westlicher Seite
als auch Seitens bestimmter Verantwortungsträger in der Islamischen Welt dürfen nicht
ausgespart werden. Hierbei müssen besonders Konflikte im Vordergrund stehen, die von den
jeweiligen Konfliktparteien religiös instrumentalisiert werden. Beide Dialogpartner
sollten sich darüber einig sein, dass eine gemeinsame friedliche Zukunft ihrer
Zivilisationen nur bei gegenseitiger Toleranz und gleichrangiger Partizipierung an
Wohlstand und Menschenrechten zu erreichen ist. Der Dialog sollte auf allen Ebenen
von der Schule über die Universität, bei Religionsautoritäten und Intellektuellen bis
hin zur politischen Führungsebene stattfinden. Gefordert ist eine Bereitschaft zur
doppelten Kritik, die beinhaltet, dass Verhaltensweisen offen benannt werden, die einem
respektvollen Miteinander entgegenstehen. Wenn in westlichen Medien beispielsweise der
Prophet Mohammed durch „Karikaturen“ verunglimpft wird, sind die westlichen
Dialogteilnehmer aufgefordert, dies als Hindernis für einen gesunden Dialog
herauszustellen, ebenso wie muslimische Dialogpartner es als dialogbehindernd aufzeigen
sollten, wenn der Westen pauschal als „areligiös“ verunglimpft wird.
Quelle:
kirche-koeln.de
Dr. phil. Milena
Rampoldi: Wie wichtig ist eine autobiographische Verarbeitung der eigenen
Migrationserfahrung und warum?
Prof. Mohammed Khallouk:
Sie hilft bei der Reflexion der eigenen Konfrontation mit der „fremden Zivilisation“.
Man kann sich bewusst werden, in wie weit man selbst bereits Teil der Aufnahmegesellschaft
geworden ist. Zudem setzt man sich kritisch mit den häufig anzutreffenden Zuschreibungen
innerhalb der Aufnahmegesellschaft zu Immigranten auseinander. Wichtig ist aber auch, dass
man nicht nur bei der eigentlichen Migrationserfahrung stehen bleibt, sondern sich auch
mit dem Alltag im „neuen“ Lebensumfeld auseinandersetzt. Dies versuche ich im Buch
„In Deutschland angekommen Marburg“ in literarischer Form zu leisten. Deshalb habe ich
ausschließlich über das Leben eines marokkanischen Immigranten in Marburg geschrieben
und die Erfahrungen vor der Migration – wenn überhaupt - nur in der Konfrontation des
Protagonisten mit der deutschen Gesellschaftsrealität präsentiert. Für den Kulturdialog
ist diese Autobiographie insofern von Relevanz, als sich die Aufnahmegesellschaft dadurch
ebenso zum Hinterfragen der eigenen Wahrnehmung herausgefordert sieht, wie es spätere
Immigranten dabei unterstützt, ihr Bild von der neuen Umgebung von Stereotypen zu
befreien.
Dr. phil. Milena
Rampoldi: Welche Möglichkeiten siehst du in dieser schwierigen Epoche für den Dialog
zwischen Palästinensern und Israelis?
Prof. Mohammed Khallouk:
Der Dialog sollte grundsätzlich auf zwei Ebenen verlaufen. Zum einen erfordert es einen
Dialog zwischen den politischen Eliten. Dieser führt jedoch kaum ohne eine vermittelnde
dritte Partei zu Ergebnissen, weil die Führungen vorrangig an der Popularität unter der
eigenen Bevölkerung interessiert sind. Besonders wichtig ist nicht zuletzt deshalb die
zweite Ebene des Dialogs, die von der aktiven Civil Society ausgeht, wo bereits von vorn
herein keine Machtbeziehung besteht, man sich auf Augenhöhe gegenübertreten kann und mit
den Wahrnehmungen der anderen Konfliktpartei intensiv auseinandersetzen. Diese zweite
Ebene ist ebenso bedeutsam, weil sie dazu beitragen kann, die kollektiven Skrupel
voreinander abzubauen und die eigene stereotypisierte Sicht auf das andere Volk kritisch
zu hinterfragen. Beide Konflikteben funktionieren aber nur ohne Aussparen der Kernfragen
des Konfliktes – nämlich des künftigen Statusses Jerusalems, dem Schicksal der
palästinensischen Flüchtlinge und der Zukunft der jüdischen Siedlungen in den besetzten
Palästinensergebieten. Nur wenn beide Seiten das Interesse erkennen lassen, sich in die
Perspektive des jeweils Anderen hineinzuversetzen und seinen Grundanliegen
entgegenzukommen, dient der Dialog nicht nur dem Selbstzweck, sondern kann auch zur
Versöhnung beider Nationen beitragen.
Dr. phil. Milena
Rampoldi: Du hast dich auch sehr intensiv mit dem islamischen Fundamentalismus
auseinandergesetzt. Welche sind für dich die Hauptgründe der Radikalisierung von
Muslimen einerseits in der Heimat und andererseits im westlichen Ausland?
Prof. Mohammed Khallouk:
Einer der wesentlichen Ursachen für die Radikalisierung von Muslimen liegt darin, dass
man seine Religion und seine Zivilisation vom Westen als benachteiligt und zurückgesetzt
wahrnimmt. Dieses Bewusstsein entsteht besonders dadurch, wenn Verantwortliche aus Politik
und Medien im Westen, aber auch westliche Intellektuelle wie Sloterdijk oder Enzensberger
dem Islam pauschal Rückwärtsgewandtheit und eine Inkompatibilität mit modernem
demokratischem Bürgersinn unterstellen. Bei Muslimen in westlichen Staaten kommen
häufig noch persönliche Erniedrigungserfahrungen hinzu, beispielsweise bei Frauen, die
aufgrund ihres Kopftuchs am Zugang zum Arbeitsmarkt gehindert werden. Diese Erfahrungen
führen dazu, dass man sich mit der westlichen Demokratie nicht zu identifizieren in der
Lage ist und in einem radikalen Islamismus einhergehend mit einer Oppositionseinstellung
gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft die Ersatzperspektive sucht.
In
der Islamischen Welt wurzelt die Hinwendung zum radikalen Islamismus in dem Bewusstsein,
dass die postkolonialen Autokratien mit ihren dem Westen entlehnten Ideologien sich nicht
in der Lage zeigten, den zivilisatorischen Rückstand zum Westen zu verringern. Hiermit
verbunden ist vielfach auch Perspektivlosigkeit. In einer radikalen Interpretation
des Islam einhergehend mit der utopischen Rückkehr zu historischen islamischen
Obrigkeitsstrukturen wie dem Kalifat erhofft man sich deshalb den vermissten Erfolg der
eigenen Zivilisation zu erreichen. Hinzu kommt die Tatsache, dass ein großer Teil der
islamischen Gelehrten heutzutage nicht bereit oder in der Lage ist, eine neue ijtihad
zuzulassen und sich aufklärerischem Gedankengut und besonders Islam- und
Schariainterpretationen, die auf die Gegenwart Bezug nehmen, gegenüber verschließt. Bei
der heranwachsenden Generation kann sich auf diese Weise kein kritisches reflektierendes
Denken entwickeln, das einer Radikalisierung entgegenwirkt.
Dr. phil. Milena
Rampoldi: Wie wichtig ist die Arbeit des ZMD in Deutschland und warum?
Prof. Mohammed Khallouk:
Sie ist bedeutsam, um die verschiedenen Strömungen und ethnisch-kulturellen Hintergründe
der Muslime hierzulande auf eine gemeinsame Stimme zu bündeln und als Einheit für die
Interessen der Muslime insgesamt auftreten zu können. Die öffentliche Aufmerksamkeit,
die dem ZMD in Politik und Medien zuteil wird und sich in überproportional gestiegenen
Zustimmungswerten in der Mehrheitsbevölkerung wiederspiegelt, wie eine im Januar 2015
durchgeführte Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts FORSA belegt, ist
nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der ZMD konservativen und liberalen Muslimen,
aber auch Sunniten und Schiiten gleichermaßen eine Stimme einräumt.
Im Verband besteht das
Bestreben, die kontroverse Debatte, wie sie der deutschen Demokratie eigen ist und auch in
der islamischen Tradition ihre Vorbilder findet, in die muslimischen Gemeinden in
Deutschland hineinzutragen. Das Ziel ist, dass Muslime betreffende gesellschaftliche
Themen mit ihnen selbst ausdiskutiert werden anstatt dass die nichtmuslimische
Mehrheitsgesellschaft nur untereinander über die Muslime diskutiert. Ebenso wichtig ist
aber gerade hierfür die Aufklärungsarbeit in der Mehrheitsbevölkerung.
Der Verband konnte einen
Beitrag dazu leisten, Stereotypen in Massenmedien und Schulbüchern offen zu legen und zu
demonstrieren, dass der Islam mit dem demokratischen Rechtsstaat kompatibel ist und von
der Mehrheit der Muslime in Deutschland auch demokratiekonform praktiziert wird. Dass
islamfeindliche Bewegungen wie PEGIDA nicht die Gefolgschaft erhalten, die sie selbst
erwarten, ist nicht zuletzt auf die Aufklärungsarbeit des ZMD zurückzuführen. Wenn
heute Kopftuchträgerinnen höchstrichterlich zugestanden bekommen, an staatlichen Schulen
als Lehrkräfte dienen zu dürfen, ist auch dies ein Erfolg der Aufklärungsarbeit des
Verbandes, der immer wieder auf die Diskrepanz zwischen konservativer islamischer
Werteverbundenheit und gegen die Gesellschaft gerichtetem Extremismus hingewiesen
hat.
Jüngstes Beispiel dafür
ist die von ZMD gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Kirchen und anderen
zivilgesellschaftlichen Akteuren abgehaltene Mahnwache für die Opfer der Seitens der
Täter mit dem Islam gerechtfertigten Anschläge von Paris. Der Mehrheitsgesellschaft
ließ sich damit demonstrieren, dass die Muslime in Deutschland sich von Gewalt und Terror
in gleichem Maße abgestoßen fühlen wie sie. Der ZMD war der erste muslimische Verband,
der sich öffentlich im Sinne eines gesamtdeutschen muslimischen Wohlfahrtssystems
eingesetzt hat, von dem nicht nur die Muslime, sondern die Gesellschaft insgesamt
profitieren kann.
Man repräsentiert zudem
nicht nur die Heterogenität der Muslime in Deutschland, sondern über den Verband wird
auch der Islam als Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen. Besonders sichtbar
geworden ist diese Entwicklung zuletzt durch die Teilnahme des ZMD-Vorsitzenden Aiman
Mazyek als erstem Muslim gemeinsam mit den höchsten Repräsentanten aus Politik und
Wirtschaft an einem Staatsbesuch in der Golfregion.
Dennoch kann der Verband
mit seiner Arbeit noch mehr bewirken, wenn ihm hierfür auch die rechtlichen
Möglichkeiten, die das deutsche System Religionsgemeinschaften bietet, vollständig
zugestanden werden. Dies betrifft in erster Linie den Status als Körperschaft
öffentlichen Rechts, darüber hinaus aber auch den Zugang zu staatlichen
Unterstützungsleistungen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben.
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