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Hintergrund: Wie erziehen wir unsere Jugend?
Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime - Von Yasin Alder
(iz)An der zweiten und teilweise dritte Generation der Muslime ist es, die von ihren
Eltern und Großeltern geschaffenen Strukturen, vor allem die Moscheen, zu übernehmen und
mit Leben zu füllen. Doch ist es bisher in vielen Fällen leider nicht gelungen,
Jugendliche in der islamischen Lebenspraxis zu halten oder für die Teilnahme an
islamischem Gemeinschaftsleben zu interessieren. Daher ist der Bereich der so genannten
Jugendarbeit mittlerweile einer der wichtigsten Teile der Arbeit einer jeden Moschee oder
muslimischen Vereinigung, auch wenn man hier sehr unterschiedliche Niveaus des Engagements
finden kann.
Bestehende Probleme
Abgesehen von den Jugendlichen, die mehr oder weniger vom Islam entfernt sind, bestehen
noch andere Probleme unter muslimischen Jugendlichen. Zunehmend organisieren junge Muslime
auch unabhängig von den Erwachsenen oder den Strukturen der Moscheevereine ihre eigenen
Aktivitäten. Dieses Engagement ist zwar erfreulich, hat jedoch auch seine Schattenseiten.
Denn wenn statt seriös ausgebildeten Imamen oder Gelehrten Jugendliche ohne korrekte
islamische Ausbildung Unterricht für andere Jugendliche anbieten oder Sitzungen
leiten, können die Inhalte, die zudem häufig nicht kontrolliert werden, auch zweifelhaft
sein oder auf falsche Wege leiten. Da diese Aktivitäten in der Regel in deutscher Sprache
gehalten sind, sind junge Muslime dadurch leicht erreichbar. Dies haben auch abseitige
Gruppierungen erkannt und versuchen, auf diesem Wege junge Leute für ihre Sache zu
gewinnen, insbesondere wahhabitische Strömungen, die heute auch unter der eigentlich
inkorrekten, irreführenden Bezeichnung Salafis bekannt sind. Auch durch eine
wachsende Zahl deutschsprachiger Webseiten, Live-Unterrichte im Netz, CDs, die oft
kostenlos verteilt werden, sowie in Internetforen sind diese Gruppen aktiv, was zu großen
Problemen und Verwerfungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaften führen kann. Die
beiden Schülerinnen, die kürzlich in Bonn mit Niqab (Gesichtsschleier) in die Schule
kamen eine Aktion, die dem Image der Muslime nur geschadet hat haben es
natürlich irgendwo gehört, dass man diese Art der Verschleierung tragen solle oder dass
diese besonders gut sei. Aber auch unabhängig von diesen Gefahren stellt sich die Frage,
wie man, abgesehen natürlich von der Hauptverantwortung der Eltern im Rahmen ihrer
Erziehung, junge Muslime erreichen und im Islam halten kann. Die Jugendorganisation MJD
(Muslimische Jugend in Deutschland) oder neuerdings die Lifemakers versuchen, mit einer
auf Sprache und Lebenswelt der heutigen Jugendlichen abgestimmten Art der Jugendarbeit die
jungen Menschen da abzuholen, wo sie sind. Ob diese neuartigen Vermittlungsformen und
Herangehensweisen an den Din, die teilweise auch Elemente aus der Popkultur übernehmen,
letztlich besser sind als die traditionelle islamische Wissensvermittlung und Erziehung,
wäre eine eigene Diskussion.
Nicht zuletzt gibt es auch kleinere lokale Initiativen muslimischer Jugendlicher, die
durchaus eine erfolgreiche Arbeit leisten. Rami Tufi aus Frankfurt bemüht sich im Rahmen
einer solchen Initiative um junge Muslime. Er beklagt, dass viele in ihren Elternhäusern
oft nur einen repressiven Islam erlebten, der scheinbar nur aus
Einschränkungen und Verboten besteht, oder dass die Eltern offenbar zu wenig Zeit haben,
den Kindern islamische Werte und Inhalte zu vermitteln. Wenig positive Erfahrungen mit
Unterrichten in der Moschee trügen auch nicht gerade dazu bei, die Moscheen für
Jugendliche attraktiv zu machen.
Ähnlich sind auch die Erfahrungen von Saloua Oulad. Sie ist bei den Lifemakers
engagiert. Wenn Jugendliche sich vom Islam entfernt haben, liege dies zumeist an Problemen
im Elternhaus. Diese wiederum hätten oft damit zu tun, dass Eltern versucht hätten, ihre
Kinder mittels Zwang, Verboten oder sogar Schlägen zum Islam zu erziehen, was natürlich
nicht funktioniert. Erklärt werde hingegen nur wenig. Auch werde den Kindern zu wenig
Vertrauen entgegen gebracht. Dabei handelten die Eltern zwar mit guter Absicht, aber
häufig mit Unwissenheit und den falschen Mitteln. Das Resultat sei, dass Kinder ab einem
gewissen Alter die Flucht ergriffen und in anderen Kreisen nach Ablenkung suchten, wozu
manchmal leider auch Drogen oder gar Kriminalität gehören. Sie halten den Islam
für uncool. Auf diese Jugendlichen kann man nur zugehen, wenn man versteht,
in was für Situationen sie gelebt und was sie durchlebt haben. Wenn man den Jugendlichen
zeigt, dass sie genauso cool und in sein, aber auch starke Muslime sein
können, dann macht es ihnen auch Spaß. Was die Moscheen betrifft, komme es immer
wieder vor, dass Jugendliche aufgrund von äußerlichen Dingen wie einem Piercing oder dem
Kleidungsstil schief angesehen, anstatt mit offenen Armen empfangen und erst einmal so
angenommen zu werden, wie sie sind. So kommen diese Jugendlichen vielleicht nicht
wieder. Dass leider gerade Jugendliche, die den Islam wieder beginnen zu
praktizieren, nicht selten in den Einfluss sektenähnlicher Gruppierungen geraten und eine
sehr rigide und enge Sicht des Islam annehmen, bedauert Saloua Oulad sehr. Entweder
werden sie dann immer engstirniger, oder sie können irgendwann nicht mehr, und es
schlägt ins Gegenteil aus, wie bei einem Jojo-Effekt. Diese Gruppierungen
schreckten natürlich auch viele Jugendliche ab. Vahit Bilmez ist in der Bremer
Fatih-Moschee für die Jugendarbeit zuständig. Er berichtet von anderen Problemen, die
junge Muslime betreffen, etwa Eheprobleme, bei denen man zu vermitteln versucht. Es komme
zum Beispiel vor, dass eine junge Ehefrau, die aus der Türkei kommt, hier nicht Fuß
fassen könne, aufgrund der ganz anderen Lebensumstände. Bei männlichen Jugendlichen
gebe es stärker Probleme mit Drogen. Hier arbeite man mit der Baremer Polizei zusammen
und versuche, Aufklärung zu betreiben und auch die Eltern zu beraten und zu
sensibilisieren. Wir hatten im letzten Jahr drei große Veranstaltungen bei uns, wo
wir Psychologen, Pädagogen, Lehrer und so weiter eingeladen hatten, die dann mit diesen
Familien gesprochen haben.
Vielfältige Herangehensweisen
Wichtig für Jugendliche seien positive Vorbilder, die mit beiden Beinen im Islam und im
hiesigen Leben stehen, also auch eine Verbindung zur Lebenswelt der jungen Generation
haben und denen die jungen Leute vertrauen, sagt Rami Tufi. Mit Arabisch-Unterricht
allein kann man Jugendliche nicht mehr in die Moschee ziehen. Dinge wie die Möglichkeit
des Kennenlernens anderer Jugendlicher und das Gemeinschaftsgefühl sind viel wichtiger,
sagt er. Erlebnisse wie Sport, Spiel, gemeinsames Übernachten in der Moschee und ein
Umgang auf Augenhöhe seien seiner Erfahrung nach auch erfolgreiche Mittel. Wir
halten die Waage zwischen Wissensvermittlung sowie Spiel und Spaß. Jugendliche, die
an Aktivitäten teilnähmen, die rein auf dem Zuhören von Vorträgen basieren, hätten
erfahrungsgemäß dann an anderer Stelle das Bedürfnis, sich zum Ausgleich auszutoben.
Bei der Wissensvermittlung sei es wichtig, auch auf Fragen einzugehen, die den Alltag der
Kinder und Jugendlichen betreffen, meint Tufi, sowie praktisches Wissen auch durch Spiele
zu vermitteln. Auch habe man öfters den Imam der Moschee bei sich, der im Dialog mit den
Kindern und Jugendlichen auf deren Fragen oder Probleme eingehen kann, in vertrauter
Atmosphäre.
Jugendliche bräuchten viel Aufmerksamkeit, meint auch Vahit Bilmez. Man müsse ihnen
zeigen, dass sie wichtig sind und gebraucht werden. Wir machen jeden Donnerstag
Abend unsere Gemeindebesuche. Dabei besuchen wir jeweils einen Jugendlichen
aus unserer Moschegemeinde. Jede Woche biete man unterschiedliche Veranstaltungen
wie Sport, Städtereisen und anderes an. Weiterhin gebe es einmal wöchentlich Seminare
mit dem Imam, und auch Filmabende. In der Moschee sei neben den üblichen Spielgeräten
wie Tischfußball und Tischtennis auch ein Internetcafé vorhanden. Allerdings habe man
auch einen Administrator, der sehr darauf achte, dass Jugendliche sich keine Seiten
anschauen, die nicht erwünscht sind. Jugendliche ab 20 Jahren interessieren sich
stärker für politische Themen und für islamische Inhalte. Es ist enorm wichtig, dass
die Jugendlichen den Islam aus vernünftigen Quellen lernen. Wir passen auf, dass die
Jugendlichen nicht auf die schiefe Bahn geraten, denn wir haben hier in Bremen ja schon
negative Beispiele gesehen, wie etwa Murat Kurnaz, der jetzt in Guantanamo sitzt.
Die Mädchen haben in der Fatih-Moschee ihren eigenen Jugendvorstand und organisieren ihre
Aktivitäten unter sich. Auch sie machen ihre Gemeindebesuche. In Zusammenarbeit mit dem
Deutschen Sportbund habe man kürzlich auch erstmals einen Sporttag speziell für Frauen
in der Moschee organisiert. Zu den Gründen für die erfolgreiche Jugendarbeit der
Fatih-Moschee befragt, sagt Bilmez: Wir haben in unserem Vorstand 18 Jugendliche,
die wirklich engagiert sind; davon sind 14 Akademiker oder Studierende.
Wir versuchen auf eine natürliche Art und Weise die Jugendlichen anzusprechen, wie
sie es kennen, und ohne erhobenen Zeigefinder, dann blocken sie auch nicht ab,
berichtet Saloua Oulad von den Lifemakers. Es hänge auch individuell von jedem einzelnen
Jugendlichen ab, wie man dessen Interesse gewinnen kann. Auch sie meint, dass der Bezug
zum alltäglichen Leben wichtig sei. Am wichtigsten bleibe natürlich die gute und
liebevolle Erziehung im Elternhaus. Aber auch die Jugendlichen selbst sollten sich um ihre
Altersgenossen kümmern und ihnen helfen. Stephanie Soukarnou von der MJD betont ebenfalls
die Mischung von Spaß haben, vielseitigen Aktivitäten und Wissen vom Islam lernen als
Erfolg versprechenden Weg, und beschreibt das Ziel der MJD so: Wir möchten den
Jugendlichen dabei helfen, eine Identität als muslimische Jugendliche hier in Deutschland
zu finden, dass man als bewusster Muslim in Deutschland leben kann, und sich Muslimsein
und Deutscher sein prima miteinander vereinbaren lässt.
Quelle: Islamische Zeitung
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