Definition von Fundamentalismus:
"Fundamentalismus bezeichnet allgemein, das kompromißlose Festhalten an
politischen, ideologischen, religiösen, u.a. Grundsätzen".
Im Christentum bezeichnet Fundamentalismus eine am Ende des 19. Jahrhunderts entstandene
Bewegung des amerikanischen Protestantismus zur Abwehr des Liberalismus. Nach Prof.
Beyerhaus stammt die älteste Definition des Fundamentalismus aus dem Jahre 1920.
Demnach ist ein Fundamentalist ein Mensch, der für die Fundamentalien des Glaubens
kämpft. Diese sind:
Die Irrtumslosigkeit der Bibel
Die Gottheit Christi und seine jungfräuliche Geburt
Der stellvertretende Sühnetod Christi am Kreuz als eine Not-wendigkeit wegen
universaler Verlorenheit der Menschen.
Die leibliche Auferstehung und Himmelfahrt Christi
Die persönliche Wiederkunft Christi zum Gericht
Der Ursprung des Fundamentalismus liegt (also) in den USA. Er stellte die Reaktion auf
die liberale christliche Theologie, den Modernismus und den Säkularismus dar; d. h. auf
den Versuch, die Lehre des Neuen Testaments ganz und völlig in den sozialethischen
Bereich zu übersetzen, wobei bestimmte Glaub-ensüberzeugungen aufgegeben oder
relativiert wurden.
Die Bezeichnung für diese Bewegung setzt sich zusammen aus >Fundament< (Grundlage)
und der Endung >ismus<, welche allgemein Ideologien charakterisiert, die bestimmte
Merkmale aufweisen. Im Zusammenhang mit der o. g. christlichen Bewegung erhält die Endung
>ismus< eine negative Komponente und weist auf eine extreme Beziehung hin.
Obwohl der Begriff Fundamentalismus ursprünglich nur diese christliche extreme
Ideologie bezeichnete, wird er heutzutage in der Öffentlichkeit und in den Medien fast
ausschließlich nur nochb im Zusammen-hang mit Muslimen verwendet. Es hat also ein
Bedeutungswandel statt gefunden. Weiterhin fand eine Bedeutungsverschiebung statt zum
Negativen und zudem eine Bedeutungsverengung zum ausschließlich Negativen. Der
Bedeutungsinhalt war zwar wegen der Kompromißlosigkeit seiner Anhänger auch
ursprünglich mit einer negativen Komponente behaftet, es gab jedoch auch positive
Komponenten.
Heutzutage assoziiert man mit dem Wort Fundamentalismus nur noch Muslime und nur noch
negative Komponenten, wie z.B.: Gewalt, Terror, Gefahr, Bedrohung, Irrationaltität. So
ist Fundamentalismus in Bezug auf Muslime zum Synonym geworden und zum Synonym für:
Terrorismus und Gewalt.
Im Vokabular und im Denken der Mehrheitsgesellschaft wird mittlerweile fast jeder, der
eine islamische Lebensweise praktiziert, als Fundamentalist disqualifiziert und als eine
Bedrohung empfunden. Auf der an-deren Seite werden Fundamentalisten bzw. gewalttätige
gefährliche Verfechter einer irrationalen Ideologie in anderen Kulturkreisen in der
Öffentlichkeit und in den Medien nicht mehr als solche bezeichnet, sondern mit neuen, mit
anderen, nicht so extrem negativ behafteten Begriffen belegt.
Die Fundamentalisten in Japan heißen "Anhänger der Aun-Sekte".
Die Fundamentalisten in Serbien be-zeichnen die Medien als Extremisten bzw. Nationalisten.
Fundamentalisten der Meschegen -Miliz heißen Rechtsextremisten.
Die Fundamentalisten in Israel nennt man jüdische Orthodoxe.
Charakteristika, die mit Fundamentalismus assoziiert werden:
- Engstirnigkeit bei der Auslegung der Schriften,d.h. Berücksichtigung
- äußerer Formen und Vorschriften ohne den dahinter liegenden Sinn ins Auge zu fassen.
- Radikalität, Inflexibilität und
- Übertriebenheit bei der religiösen Praxis (d. h. extreme Erschwerung des Lebens)
- Ignoranz und Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, d. h. andere zur eigenen Meinung
zwingen, wenn nötig mit Gewalt.
- Unfähigkeit zum bzw. Ablehnung von Dialog.
Frage, Beinhaltet der Islam derartig negative Elemente?
Die Antwort lautet NEIN!
Islamische Umgangs-Prinzipien:
Bezüglich des Umgangs mit anderen Menschen bzw. mit Andersgläubigen beruht das
allgemeine Verständ-nis des Islam auf folgenden Grundregeln:
- Bewahrung menschlicher Würde
- Kooperation der Völker
- größtmögliche Gerechtigkeit
- garantierte Religionsfreiheit
1. Bewahrung der Menschenwürde
Allah (ta'ala) hat den Menschen als das beste Geschöpf erschaffen und in ihn von Seinem
Geist eingehaucht. Deshalb ist es unabdingbar, die Würde aller Menschen (Muslime und
Nichtmuslime) zu schützen, un-abhängig von Hautfarbe, Sprache oder Nationalität. Der
Qur'an bein-haltet unzählige Ayat (Verse), welche die Menschen in ihrer Gesamtheit als
menschliche Geschöpfe ansprechen ( ... ihr Menschen, Ihr die Kinder Adams ...), ohne
dabei irgendwelche Unterschiede zwischen ihnen zu machen.
"Der jedes Ding gut machte, das Er
erschuf, und Der die Schöpfung des Menschen erstmals aus Lehm begann. Dann machte Er
seinen Nachwuchs aus einer geringen Menge mindergeschätzter Flüssigkeit. Dann formte Er
ihn, und Er hauchte in ihn von Seinem Geist ein"(32:7-9)
"ihr Menschen, habt Taqwa (Ehr-furcht)
eurem Herrn gegenüber,
der euch aus einem einzigen Wesen er-schuf." (4: 1)
"Und Wir erwiesen gewiß den Kindern Adams
Ehre, und ließen sie auf dem Lande und dem Meer tragen, und versorgten sie mit den guten
Dingen, und begünstigten sie ein-deutig gegenüber vielen von denje-nigen, die Wir
erschufen." (17:70)
Deshalb ist der Mensch wertvoller und kostbarer als jede materielle Sache und als jeder
materielle Wert. Er darf als Gegenleistung für die Bereitstellung von materiellem Wert
oder materiellem Gegenstand nicht gedemütigt werden.
Muhammad (salla lahu 'alaihi wa sallam) sagte: "-Allah, Du bist unser Herr und
der Herr aller Dinge und Du bist ihr König. Ich bezeuge, daß alle Deine Diener
untereinander Geschwister sind."
(Ü.v. Ibn Hanbal)
"Ihr seid die Kinder Adams und Adam stammte aus Erde. Keinen Vorrang hat der
Araber vor dem Nichtaraber oder Nicht-araber vor dem Araber oder der Schwarze vor dem
Roten (Weißen) oder der Rote (Weiße) vor dem Schwarzen, es sei denn durch die
Ehrfurcht"
(Ü.v. Muslim)
2. Begegnung der Völker
Der Islam fordert die Völker auf, aufeinander zuzugehen.
Er lädt sie dazu ein, einander kennenzu-lernen und sich gemeinsam für das Güte
einzusetzen,
"Ihr Menschen! Wir erschufen euch von einem männlichen und
von einem weiblichen Wesen, und machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr euch
kennenlernt. Der Angesehenste von euch bei Allah ist der Ehrfürchtigste." (49:13)
"Allah untersagt euch nicht mit
denjenigen, die euch nicht wegen der Religion bekämpfen und euch nicht heraustreiben aus
euren Heimstätten, daß ihr mit ihnen die Kontakte pflegt und sie gerecht
behandelt, Allah liebt ja die Gerechten." (60:8)
Das bedeutet, daß der Islam die Muslime dazu auffordert, Kontakte und Begegnungen mit
Nichtmus-limen zu haben und mit ihnen freundschaftliche und nachbar-schaftliche
Beziehungen zu pflegen.
3. größtmögliche Gerechtigkeit
Der Islam fordert größtmögliche Gerechtigkeit beim Umgang unter den Menschen.
"Ihr, die den Iman verinnerlichten, seid
Handelnde für Allah und Zeugen in Gerechtigkeit, und die Abneig-ung gegenüber Leuten
darf euch nicht dazu bringen, daß ihr nicht gerecht handelt - handelt gerecht, das ist
näher an der Ehrfurcht." (5:8)
Der Gesandte Muhammad (sal-la lahu-'alaihi wa sallam) sagte: "Unterstütze
deinen Bruder, sei er Unrechthandlender oder un-ter Unrecht Leidender. Dann sagte ein
Mann: "Gesandter Allahs! Ich unterstütze ihn als unter Unrecht Leidenden. je-doch
als Unrechthandlenden, wie soll ich ihn unterstützen Der Gesandte (salla lahu 'alaihi wa
sall-lam) sagte: "Indem du ihn daran hin-derst, weiter ungerecht zu handeln; denn das
ist die Unterstützung für ihn." (Ü. v. Buchari)
4. garantierte Religionsfreiheit
"Es gibt keinen Zwang im Din
(Lebensweise), das rechte Handeln ist klar geworden gegenüber dem Fehlgehen."
(2:256)
"Und wenn dein Herr wollte gewiß alle den
Imaan verinnerlicht wer auf der Erde ist, alle, - und zwingst du die Menschen etwa, Mumin
zu sein?" (10:99)
,Erinnere! Du bist ein Erinnernder. Du hast
über sie keine Verfügung." (88:21-22)
Islamische Position zu Charakteristika,
die mit Fundamentalismus assoziiert werden:
1. Engstirnigkeit
Engstirnigkeit im Sinne von klein-licher Berücksichtigung äußerer Formen und
Vorschriften, ohne den dahinter liegenden Sinn ins Auge zu fassen, verstößt eindeutig
gegen das Scharia-Prinzip der "Beurteilung der Taten nach den Absichten"
"Jedem gebührt, was er beabsichtigt hat."
Also der Sinn zählt, der hinter einer Tat steht, und nicht umgekehrt.
Erwähnenswert ist es, daß der Islam nur Handlungen billigt, die mit seinenPrinzipien
vereinbar sind und von der richtigen Absicht begleitet werden.
Diese Scharia-Regelung impliziert die Aufforderung zum selbständigen Denken und
verantwortungsbewußten Handeln.
2. Radikalität, Inflexibilität, Übertreibung bei religiöser Praxis
Inflexibilität und Übertreibung im Sinne von Maßlosigkeit und übermäßiger Praxis und
dadurch verursachte unnötige Erschwerung des Lebens verstoßen gegen das Scharia-Prinzip
der 'Erleichterung'. Diese Scharia-Regel impliziert Mäßigung bei allen Handlungen und
die Pflicht zur Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen in Ausnahmesituationen zur
Vereinfachung und Erleichterung. Die Grundlagen des Prinzips der Erleichterung findet man
im Qur'an und in der Sunna.
"Allah gebot euch nichts, was euch schwer fallen könnte." (5:6)
"und Er (Allah) gebot euch in dem Din
(Lebensweise) nichts, was euch schwer fallen könnte." (22:78)
"Allah gewährt euch Erleichterung. Der
Mensch ist gewiß als schwaches (Wesen) erschaffen." (4:28)
Der Gesandte (salla-Ilahu 'alaihi wa sallam) sagte: "Macht es leicht und
erschwert nicht; bringt frohe Botschaft und schreckt nicht ab."
(Ü.v.Buchari)
Entsprechend den qura'nischen An-weisungen entwickelten die islami-schen
Rechtsgelehrten die Regel: 'Beschwerlichkeit zieht Erleichter-ung nach sich'.
Zusammenfassend kann man sagen, daß der Islam eine große Anzahl un-terschiedlicher
Erleichterungsgrün-de bei der Praxis gottesdienstlicher Handlungen in
Ausnahmesituation-en anerkennt (Krankheit, Reisen, Zwang, Irrtum, Vergessen, usw.).
Radikalität im Sinne von 'Unnach-giebigkeit', 'Kompromißlosigkeit',
'Rücksichtslosigkeit' und im Sinne von 'zu häufiges und intensives Betreiben von etwas'
verstößt gegen das Scharia-Prinzip der 'schrittwei-sen Umsetzung des Islam'.
Dieses Scharia-Prinzip impliziert Kompromißbereitschaft und Flexibi-lität.
Beispiele für dieses Prinzip:
1. Die stufenweise Einführung des Pflicht-Gebets:
Zunächst bestanden die Gebete lediglich aus je zwei Ge-betseinheiten (Rakat), dann
erfolgte die Erhöhung auf je vier Rakat für das Mittags-, Nachmittags- und Nachtgebet.
Für Ausnahmefälle, wie Reisen blieb es bei je zwei Rakat.
2. Die stufenweise Einführung des Pflicht-Fastens:
Das rituelle Pflicht--Fasten wurde in 3 Phasen einge-führt:
a) In der 1. Phase wurde das freiwill-ige Fasten empfohlen (2:184)
b) In der 2. Phase wurde das Fasten zur Pflicht (Fardh) (2:185).
c) In der 3. Phase folgte die Erleicht-erung der bis dahin geltenden Fast-envorschriften.
Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr wurden nun von Sonnenuntergang bis zum nächsten
Morgenlicht erlaubt. In den ersten beiden Phasen war Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr
nur ab Sonnenuntergang bis zum Schlafengehen erlaubt (2:187).
3. Die stufenweise Einführung von Zakat:
Zunächst war die Höhe der Zakat und der Zeitpunkt der Abgabe freigestellt später wurden
genaue verbindliche Richtlinien erlassen.
4. Die stufenweise Einführung des Alkoholverbots:
Zunächst erklärt der Qur'an die Vor- und Nachteile des Alkohols und stellt fest, daß
die Nachteile größer sind als die Vorteile. Später wird ein Verbot er-lassen, im
Rauschzustand das Gebet zu verrichten. In der letzten Stufe wird Alkohol gänzlich
verboten.
3. Ignoranz und Intoleranz gegen-über Andersdenkenden
Ignoranz und Intoleranz im Sinne von gewaltsames Aufzwingen einer Meinung widerspricht dem
Scharia-Prinzip der 'Glaubens- Meinungs -und Religionsfreiheit'.
Dieses Prinzip impliziert das Verbot, in religiösen und Glaubens-Angelegenheiten jedweden
Zwang oder Druck auszuüben. Der Islam verlangt weiterhin von den Muslimen Toleranz und
fordert von ihnen die religiöse, politische, kulturelle und soziale Vielfalt innerhalb
und außer-halb der eigenen Gemeinschaft anzuerkennen. Diese Toleranz versteht sich nicht
als gönner-haftes Dulden und Ertragen, sondern als Respekt im Sinne von Anerkennung und
Bejahen. Diese Toleranz wird sogar auf theologischer Ebene praktiziert, nämlich in den
islamischen Fiqhschulen. Nichtmuslime genießen nach der islamischen Rechtsordnung
vollständige Autonomie in religiösen Fragen.
4. Unfähigkeit zum bzw. Ablehnung von Dialog.
Eine derartige Verhaltensweise ver-stößt eindeutig gegen das Scharia--Prinzip der
'Kommunikation-'
Der Islam fördert nicht nur den Dialog im Sinne von interreligiösem und interkulturellem
Austausch, sondern er verlangt auch, daß dieser Austausch bzw. der Dialog auf die beste
Art und Weise geführt wird.
Jeder Muslim ist verpflichtet, im Rahmen seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten zum
Islam einzuladen, d. h. den Islam bekannt zu machen und über den Islam zu informieren.
Als die islamisch empfohlene beste Art der Einladung/ Da'wa gilt das gute Vorbild.
Qur'an-Verse geben uns die Rahmenbedingungen für den richtigen Umgang.
"Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit wd
guter Ermahnung unddisputiere mit ihnen auf bester Art." (16:125)
"Und wer ist besser im Wort als wer zu
Allah ruft und Rechtschaffenes tut und sagt: 'Ich bin einer von den Gottergebenen'. Die
gute Tat und die schlechte Tat sind nicht gleich, -wehre ab mit dem, was besser ist; dann
ist derjenige, wo zwischen dir und zwischen ihm Feindschaft war, als ob er ein enger
Beistandleisten-der wäre." (41:33-34)
"Und disputiert nur auf die beste Art mit
den Buch-Angehörigen, außer mit den Ungerechten unter ihnen, und sagt: "Wir
verinnerlichen den Imaan an das, was uns offenbart und was euch offenbart wurde und unser
Gott und euer Gott ist einer, und wir sind Ihm ergeben."(29:46)
Die Tatsache, daß dieser Qur'an-Vers (29:46) in Mekka offenbart wurde, d. h. in einer
Zeit bevor die Muslime mit Christen oder Juden zusammen-lebten und bevor sich die Frage
des richtigen Umgangs mit ihnen erstmals praktisch ergab, ist ein Beweis für die dem
Islam immanente prinzipielle Offenheit und Dialogbereitschaft. Der Pluralismus der
Menschen und Meinungen in Form von Multikulturalität und Multireligiosität wird vom
Islam nicht als Problem, sondern als Bereicherung des Lebens betrachtet, die in dieser
Vielfalt vom Schöpfer so gewollt ist.
Nach dieser kurzen Darstellung grundlegender Prinzipien des Islam und unter
Berücksichtigung der his-torischen Fakten - nämlich die Untermauerung der Umsetzbarkeit
dieser Theorie in die Praxis - das 800 Jahre gelebte Beispiel islamischer Prinzipien auch
auf europäi-schem Boden (Andalusien) - stellen sich viele Fragen.
Fragen vor allem und besonders nach dem Umgang des Westens mit dem Islam und den
Muslimen. Fragen danach, ob die ablehnende Haltung des Westens gegenüber dem Islam
berechtigt ist.
1. Wird heute ein neues Feinbild Islam gebraucht und aufgebaut
als Ersatz für nicht mehr existierende Feindbilder? Oder dient ein neues Feindbild
vielleicht als Rechtfertigung verfehlter westlicher Politik in und mit den Regimen von
Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung?
Petra Kappert:
"Die westliche Welt hat ihren großen
Angstgegner, den Sozialismus in Form des Kommunismus verloren, und ist auf der Suche nach
einem neuen Feindbild. Es gibt eine Menge Definitionen, warum ein Feindbild existieren
muß, wozu wir es brauchen. (...) >Feindbilder sind Klischees des anderen, die mehr der
eigenen seelischen Stabilisierung als der realistischen Orientierung dienen< Auf ein
solches Feindbild zu verzichten, fällt einer Gesell-schaft, die mit sich selber nicht so
sehr im reinen ist, sehr schwer Es muß ein neues Feindbild her. Das ist der Islam, und
dafür ist er sehr willkommen. "
Robin Wright:
Da unterstützen wir (der Westen) ja die
Scheichtümer die Öl besitzen, und blockieren alles, was die Ent-wicklung eines
Pluralismus fördern könnte. Wir verletzen dort alles, was wir selber predigen:
Menschen-würde, Menschenrechte, Meinungs-äußerungsfreiheit. Wir ermutigen demokratische
Au3drucksformen nicht. "
Robert Leicht:
"Was folgt daraus? Nicht die Frage ob der
Islam modern und aufgeklärt ist, sondern die Frage ist, ob unser eigener politischer
Prozeß aufge-klärt modern und in der Lage ist, die Kompliziertheit der Welt zu
ver-stehen und ohne Vorurteile und Klischees Interessen und Politik zu definieren. "
(Zitate aus: Die Zeit Nr 14 lApril 93)
2. Wird ein Islam-Feinbild aufgebaut weil der Westen den Islam
als Konkurrenz betrachtet, weil er eine echte Alternative zum westlichen
Demokratie-Verständnis darstellt ?
Bei der Kritik am Islam übersieht man im Westen meist die historischen Fakten. Man
übersieht bzw. man ignoriert, daß Muslime mit ihrer Religion eine andere Geschichte
haben, als der Westen mit seiner Kirche.
Der Islam baut auf einer Synthese zwischen allen Lebensbereichen (religiös und weltlich)
auf Das islamischen Wertesystem verbindet alle Aspekte des Lebens auf die vollkommenste
Art und Weise, es verbindet auf harmonische Art Göttliches mit Welt-lichem und bezieht
den Gottesdienst ganz selbstverständlich in den Alltag ein.
Die islamische Geschichte beweist, daß dieses islami-sche Modell praktikabel ist.
Während der Blütezeit der islami-schen Zivilisation wurde ein fruchtbares Zusammenspiel
zwischen Religion und Wissenschaft, Religion und Menschenrechten, Minderheitenrechten und
Freiheiten des Menschen ermöglicht.
Das Beispiel Andalusiens ist Beweis dafür, daß diese Synthese jahrhundertelang sehr
erfolgreich zum Wohle aller Bürger, der muslimischen Mehrheit und aller Minderheiten
praktiziert wurde. Der Untergang der islamischen Zivilisation begann als von diesem
Verständnis abgewichen wurde.
3. Wird der Islam als Bedrohung wahrgenommen, weil die Länder
des islamischen Kulturkreises einen großen Teil der Weltrohstoffe besitzen und der Westen
befürchtet seinen Einfluß und seine Verfügungsgewalt über die Verteilung dieser Güter
zu verlieren?
4. Oder wird zudem eine Veränder-ung der Macht- und
Einflußver-hältnisse befürchtet?
Bei derartigen Überlegungen, muß man ebenfalls die historischen Fakten
berücksichtigen.
Fakt ist, daß die meisten Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen des letzten
Jahrhunderts nicht von Muslimen angezettelt wurden.
Fakt ist, daß der Westen aus all diesen Kriegen direkt oder indirekt profitiert hat,
durch Erweiterung seiner Einflußsphäre, durch materielle Gewinne wie z. B.
Waffenverkäufe
meist an beide Konfliktparteien, Wiederaufbau der zerstörten Staaten durch westliche
Baufirmen, Wiederaufbaukredite von westlichen Regierungen und Banken usw..
Altbundeskanzler Helmut Schmidt.
"Erstens - Das christliche Bekenntnis
und die ganze westliche Kultur haben Westeuropa, Osteuropa, Nordamerika nicht gehindert,
sich in diesem Jahrhundert zweimal in grausamen Kriegen zu engagieren und sich, durchaus -
fundamentals-tisch, gegenseitig als Todfeinde zu bekämpfen.
Zweitens - Der Islam und das muslimische
Bekenntnis bieten weder in Südostasien noch in Südwestasien, weder in Zentralasien, im
Nahen Osten, noch in Afrika einen Anlaß,
eine ähnlich tragische Konfrontation mit
islamischen Staaten wahrscheinlich zu halten, wie die Christen sie unter sich in zwei
bluti-gen Weltkriegen und in einem kalten Weltkrieg ausgefochten haben.
Drittens - Wohl aber besteht die Gefahr
daß sich der Westen nach Fortfall des bolschewistischen Imperialismus aus Unkenntnis ein
neues Feindbild schafft, das islamische Völker Eliten und Führer zu ei-ner Konfrontation
provozieren kann .
Viertens - Wer einen derartigen Konflikt
vermeiden will, der muß versuchen, die politischen und ökonomischen Hoffnungen und
Erwartungen der Muslime in vier Kontinenten zu verstehen und zu differenzieren, von Land
zu Land, je nach ihrer wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen
Entwicklung. Nur aus dem Dialog kann Verständnis entstehen.
Schließlich: Im 21. Jahrhundert ist die
Menschheit primär gefährdet durch partielle Armut, durch globa-le Bevölkerungsexplosion
und durch globale Umweltzerstörung, beson-ders durch globale Erwärmung. Aus diesen
Gründen sind ökonomische und politische Kooperation zwischen den Staaten und
Selbst-disziplin jedes einzelnen Staates, je-der einzelnen Gesellschaft von grö-ßerer
Bedeutung als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. ( .. ) Und über all dem muß
die religiöse kulturelle und ideologische Toleranz stehen und die Würde der einzelnen
Person."
- (Zitat aus: Die Zeit Nr 14 April 93)
5. Wird der Islam als Bedrohung wahrgenommen, weil man davon
ausgeht, daß der Islam fortschritts-feindlich, reformunfähig, völlig in-flexibel und
mittelalterlich sei?
Auch hier werden oft die historischen Fakten verdreht und die eigenen negativen
Erfahrungen mit der eigenen Religion auf den Islam projiziert.
Volker Nienhaus:
Ich wage einmal die These, daß der Islam geradezu
das Vehikel der Modernisierung, der Entwicklungen der islamischen Weit ist.
Modernisierung ist für mich nicht nur ein
technischer Begriff, Modernisierung bedeutet auch sozialen Wandel, Umstrukturierung der
Ge-sellschaft, Umstrukturierung der Wirtschaft. ( .. ) Erforderlich ist, um in einer
Gesellschaft Moderni-sierung durchzusetzen, eine positive Einstellung zum Wandel. ( .. )
Der Islam, wenn er entspre-chende Konzepte entwickelt, ermöglicht eine Identifikation mit
dem Wandel.
- (Zitat aus: Die Zeit Nr 14 April 93)
Bemerkenswert ist vor allem, daß der Westen beim Umgang mit dem Islam seine eigenen
Prinzipien verrät.
Einerseits wird im Westen die Moderne beschworen, die Aufklärung hochgehalten, der
kritische und mündige Gebrauch der Vernunft proklamiert, die Forderung erhoben, alle
überkommenen Thesen und Ansichten kri-tisch zu hinterfragen und mit allen alten
Traditionen zu brechen und andererseits wird die jahrhundertealte irrationale feindliche
Ansicht und Haltung des Westens gegenüber dem Islam kaum in Frage stellt kaum kritisch
hinterfragt, und es wird kaum Bereitschaft gezeigt diese zu überdenken oder gar zu
revidieren.
Beim Umgang mit dem Islam werden im Westen Objektivität und Rationalität meist
ausgeklammert.
Beispiel: Die stereotype Frage westlicher Kritiker des Islam nach "den Rechten von
Minderheiten im Islamischen Staat" wird trotz der historischen Fakten immer noch und
immer wieder gestellt.
Die Fragestellung an sich ist Beweis für die Ignoranz und die eingeschränkte Weltsicht
der Fragesteller und für ihre erschreckende Unkenntnis des Verlaufs der Welt-geschichte
außerhalb des christlich - abendländischen Kulturkreises.
Die Fragesteller ignorieren, daß Muslime mit ihrer Religion eine an-dere Geschichte
haben, als der Westen mit der Kirche; daß der Verlauf der Geschichte in den Ländern des
islamischen Kulturkreises eine ganz andere ist als die westlich-abendländische mit ihren
dunklen Kapiteln in Bezug auf Minderheiten.
Die Fragesteller projezieren die eigenen (westlichen) historischen Fehler und
Versäumnisse auf den Islam, um den eigenen Überlegenheitsanspruch nicht in Frage stellen
zu müssen.
In Europa bis heute unbekannte bzw. ignorierte historische Fakten sind z.B..-
- daß Minderheitenrechte und Glaubensfreiheit dem islamischen Wertesystem seit mehr als
1.400 Jahren immanente Faktoren sind.
- daß der Schutz aller Minderheiten und die Gewährung von Glaubensfreiheit seit jeher zu
den Pflichten des islamischen Staates gehören.
- daß Respekt, Achtung und Toleranz gegenüber allen Minderheiten z.B. in Andalusien von
den Muslimen bzw. vom islamischen Staat jahrhundertelang den Europäern vorgelebt wurde.
- daß die in Europa religiös verfolgten Minderheiten, z.B. die europäischen Juden wegen
der bekannten Toleranz der Muslime in die islamisch regierten Staaten flüchteten.
- daß diese europäischen Juden in den islamischen Staaten aufgenommen wurden und unter
dem Schutz des islamischen Staates frei leben konnten.
- daß die in den letzten Jahren nach Israel ausgewanderten marokkanischen Juden vermehrt
nach Ma-rokko zurückkehren, weil sie dort ihre Religion ungehindert leben und
gleichberechtigte Bürger sind.
- daß die religiösen Minderheiten in den islamischen Staaten nicht verfolgt wurden, dort
ihre Religion frei ausüben konnten und dort bis heute und seit mehr als 1400 Jahren
überlebt haben.
Die Fragesteller gehen in einer unerträglichen Arroganz davon aus, daß der Gedanke
der Religionsfreiheit und der Minderheitenrechte ein rein europäisches Produkt der
Aufklärung sei und im Verlauf der gesamten Weltgeschichte erstmals von den Europäern
praktiziert worden sei. Eine derartige Verdrehung der historischen Fakten ist nicht zu
vereinbaren mit der europäischen Rationalität.
Im Zeichen der Globalisierung und der weltweiten Öffnung muß Europa endlich den
Mut aufbringen und damit beginnen, die historischen Fakten zur Kenntnis zu nehmen und zu
würdigen.
Am Vorabend des christlichen 21. Jahrhunderts braucht das christliche Europa eine neue
Aufklärung.
In einem neuen Lernprozess müssen die historischen Vorurteile dem Islam gegenüber
revidiert werden. Ohne diese Offenheit laufen wir Gefahr, die historische Chance eines
respektvollen und gleichberechtigten Miteinander zu verpassen.
Wir können es uns nicht länger leisten in alten Denkstrukturen verhaftet zu bleiben
und durch Ignoranz und Arroganz den Frieden unter den Völkern, Religionen und Kulturen
aufs Spiel zu setzen.
Resümee
"Wegen seiner Unklarheit, seiner Dehnbarkeit und seiner überwiegend negativen
Besetzung sollte man den Begriff "Fundamentalismus" in Zukunft tunlichst
vermeiden."
Quelle: IRH Hessen
@ Ekrem Yolcu |