Alxander Puschkin und die muslimisch arabische Literatur

Dieser Artikel wurde erstmals im britischen, muslimischen
Monatsmagazin "Q-News" von Dr. Muhammed Junis veröffentlicht.

Der große russische Dichter des 19. Jahrhunderts, Alexander Puschkin, war ein Verfechter der Freiheit bis zum Äußersten. Seine Verteidigung gegen die Verfolgung brachte ihm die Liebe und die
Verehrung seiner Landsleute ein. Seine Arbeit verherrlichte die humanistische Seite des Menschen. Seine Eigenschaften trugen einen großen Teil zu seinem Rang als einer der Größten der Weltliteratur
bei.

Das arabische Denken und die arabische Dichtung wurden von Puschkin hoch angesehen, ein Gefühl, welches deutlich in vielen seiner Werke zum Tragen kommt. Diese Achtung wurde im Gegenzug von vielen arabischen Autoren beantwortet, die in ihrer eigenen Arbeit eine hohe Wertschätzung für Puschkin erkennen ließen. Es lohnt sich, einige Aspekte dieser gegenseitigen Beziehung zu untersuchen.

Der russische Hof versuchte verzweifelt, mit Hilfe von Posten und Geld die Sympathie des Dichters  zu gewinnen, während sich zur selben Zeit der Haß des Zaren auf Puschkin immer weiter steigerte.
Als Drohungen seitens der Behörden n icht halfen, seine Überzeugungen zu brechen, entschied der Zar, Puschkin nach Sibirien und damit zum sicheren Tod zu verdammen.

Nichtsdestotrotz gelang es den beiden Literaturprofessoren Puschkins, Gokowski und Karamsin, ihren Einfluß beim Zaren geltend zu machen. So wurde er stattdessen ins südliche Rußland verbannt, und verließ die Hauptstadt St. P etersburg am 6. Mai 1820.  

Bis dahin wurde Puschkin bis zu einem gewissen Grad von der romantischen Entwicklung beeinflußt. Seine persönliche Sicht in das Leben der Menschen, seine Erfahrungen mit Unterdrückung und Verfolgung veranlaßten ihn, einige se iner eigenen Sichtweisen in geistigen und sozialen Fragen zu verändern. Als Teil dieses Prozesses begann er, viele der ältesten Quellen der Menschheit zu
studieren, in der Hoffnung, sie könnten ihm einen Ausweg aus seiner spirituellen Krise zeigen. Während dieser kritischen Station seines Lebens, die in seiner Hinwendung zum Realismus gipfelte, fing er an, eine russische Übertragung des Qur'an zu lesen, die aus dem französischen gefertigt worden war. Kurz danach, im Herbst 1824, schrieb er das epische Gedicht, "Eine Nachahmung des Qur'an". 

Puschkins christliche Herkunft, seine Religion und Erziehung bedeuteten, daß er Vorstellungen hatte, die im Gegensatz zu denen des Islam standen, aber diese waren wenige, verglichen mit den vielen Gemeinsamkeiten. Weiterhin verehrte und resp ektiere Puschkin den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, und er hatte eine große Liebe für die muslimische Zivilisation in der arabischen Welt. 

"Eine Nachahmung des Qur'an" ist zu keiner Zeit ein Versuch, den Qur'an zu kopieren oder etwas zu schaffen, was diesem ähnelt. Vielmehr ist es ein Unternehmen, seinen russischen Landsleuten
einige der eminent wichtigen Botschaften, die in der Überlieferung Allahs benannt werden, nahezubringen. Dies gelang Puschkin mit einer einfachen, aber beredten Dichtung.

Das Russische seiner Zeit war extrem schwierig und vielgestaltig, so wandelte er es und machte es für seine Leser verständlicher. Dafür gilt Puschkin heute als der Begründer des modernen  literarischen Russisch. Dies veranlässigte den Dichter, Themen aus der Übersetzung des Qur'ans herauszugreifen und sie als Lyrik der allgemeinen Öffentlichkeit vorzutragen, so daß sie einfacher zu
verstehen wären und man besser vom Heiligen Buch der Muslime profitieren könne.

In dieser Reihe von Gedichten war es das Ziel Puschkins, ein genaues Bild des Qur'ans, des Gesandten Allahs und die Einzelheiten der arabischen Zivilisation zu präsentieren. Weiterhin wollte er aufzeigen, inwieweit die Qur'anische Sprache die Zuhörer emotional und intellektuell traf und beeinflußte. 

Der Beginn des folgenden Gedichtes wurde möglicherweise von der Lektüre der Sura Al-Fadschr (Die Morgendämmerung) inspiriert:

"Bei der Morgendämmerung,
Und den zehn Nächten,
Und beim Geraden und Ungeraden,
Und der Nacht, wenn sie vergeht;"

Das Gedicht Puschkins beginnt wie folgt:

"Schwör beim Geraden
Und beim Ungeraden
Schwöre beim Schwert
Und beim gerechten Kampf
Schwör beim Morgenstern
Schwör beim Abendgebet."

Das Wort "Prophet", in Bezug auf den Gesandten Allahs, taucht zu den Gelegenheiten auf, wenn der Autor von Glauben und Vertrauen spricht, welche dem Menschen Stärke und Mut geben. Zum Beispiel:

"Stehe, Oh sich Fürchtender!
Da in deiner Höhle die Heilige Laterne
leuchtet bis zum Morgengrauen.
Dunkle Gedanken ... täuschende Träume Verschwinden
Bei der Vornehmheit des Propheten tiefen Gebetes
So bleibe unterwürfig im Gebet bis zum Dämmern
und singe das Heilige Buch bis zum Morgen."

Der Prophet Muhammed, Frieden und Segen auf ihm, wird an vielen Stellen mit Respekt und Achtung erwähnt: 

"Der Barmherzige: Der, Der offenbarte
Unwiderstehlich werden wir ins Licht gezogen
Und der Nebel lichtet sich vor unseren Blicken."

Puschkin war ein großer Verehrer der arabischen Geschichten und merkte in einem Brief an seinen engen Freund A. A. Bestuschew an:
"Arabische Geschichten sind wunderbar." In der Tat veranlaßte ihn seine ehrliche Vorliebe f&uum l;r die arabische Kultur dieser in dem Gedicht "Eine Nachahmung der Araber" Ausdruck zu verleihen. Dort spricht er mit großer Leidenschaft und sanfter Anziehung:

"Oh Geliebte, Oh sanfte Jugend!
Laß nicht die Schüchternheit dich überwältigen
Denn du bist für immer mein
In uns beiden bläst ein stürmiges Feuer
Wir leben beide das selbe Leben
Spott fürchte ich nicht
Beide sind wir gefangen von dem, was zwischen uns ist
Wir sind wie zwei Mandeln - in einer Schale."

In der Tat wird das Denken und der Geist des Ostens klar in vielen Gedichten Puschkins. Als Beleg mag das Gedicht "Der Prophet" gelten, von dem dieser Auszug stammt:

"Vom Durst nach Geist und Licht gemartert,
In finstrer Wüste zog ich hin,
Als mit sechs Schwingen, unerwartet,
Am Kreuzweg ein Seraph erschien.
Mit zarten Fingern, traumesschwer,
Mein Augenpaar berührte er:
Erleuchtung traf das Augenpaar,
Erschrocken wie ein junger Aar."

Das Ende des Gedichtes lautet wie folgt: 

"Er hat mir, kraft des kalten Schwerts,
Die Brust zerteilt mit kurzem Streich,
Ersetzte dann mein zuckend Herz
Durch glühnde Kohle, flammengleich.
Ein Leichnam - lag ich in der Wüste,
Als Gottes Stimme mich erlöste:
ÈSteh auf, Prophet, und sieh, und höre,
Aus mir wächst dein Erkennen,
Durchquere Länder, und die Meere,
Die Herzen soll dein Wort entbrennen."

Untersuchungen der Gedichte Puschkins eröffnen, daß viele von ihnen, so "Der Talisman" oder "An das Kalmitsch-Mädchen" (Kalmitsch, eine Völkergruppe des Kaukasus), den Islam und die Muslime bejahen. Er spri cht ebenfalls von Palästina, und der Euphrat wird sowohl in "Von Hafis" (Ein Lager am Euphrat) und im "Don" (russischer Fluß) erwähnt.

Vieles seiner Lyrik ist reich an Gefühlen und Bildern, die eindeutig muslimisch sind. Mehr noch, er benutzte muslimische Namen, wie in diesem kurzen Gedicht, geschrieben 1836:

"Eines Abends wies Laila mich zurück
Ohne Mißtrauen
Sagte ich zu ihr:
"Halt! Wohin gehst du?"
Unter Protest antworte sie:
"Dein Kopf wurde grau."
Sarkastisch sagte ich ihr:
"Alles hat ein Ende!
Das schwarze Moschus
Ist nun Kampfer."
Laila lachte über meine zitternde Stimme
Und sagte: "Du selbst weißt
Daß süßer Moschus für die frisch Verliebten ist
und Kampfer nur für den Tod wird benutzt.""

In seinem Buch "Puschkins künstlerische Meisterschaft" schrieb der Gelehrte A. A. Slonimsky: "Puschkins Gedicht 'Eine Nachahmung des Qur'an' ist in der Tat keine Nachahmung des Qur'an, selbst wenn dessen Gehalt zum grö&szl ig;ten Teil dem Heiligen Buch der Araber entnommen wurde. Hier ist die beeindruckende arabische Färbung notwendig für einen komplett ausgeglichenen Ausdruck des Geistes der Stärke und Energie; so deutlich in seinen Gedichten "19. Oktober" (1825) und "Der Prophet" (1826)." 

Diese Gedichte, insbesondere "Eine Nachahmung des Qur'an", verursachten Unruhe in den literarischen Zirkeln seiner Zeit. Eine Autoren wie Annenkov sahen in " Eine Nachahmung des Qur`an"  hauptsächlich einen Ausdruck von Pus chkins eigenem psychologischen Zustand, wohingegen andere, wie Belinski und Dostojewski, einräumten, daß er versucht habe, die herausragenden Aspekte des Qur'an zu beschreiben; unabhängig davon. ob sein Interesse religiöser, kulturell er, geschichtlicher oder sprachlicher Natur gewesen ist. Selbst heute noch bestehen unter  russischen Wissenschaftlern starke Unterschiede in der Beurteilung dieses Gedichtes.

Es gibt keinen Zweifel, daß Puschkin über das Denken und die Kultur der Muslime gelesen hat und daß ihn diese Lektüre eindeutig beeinflußte. Natürlicherweise beeinflussten ihn auch die französische Dichtung, und später tauchen deutsche und englische Einflüsse in seinen Werken auf. Diese Anordnung der literarischen Quellen  versetzten Puschkin in die Lage, die russische Dichtung auf einen besonderen Pfad zu bringen, worauf ihm Gestalten wie Turgenjew, Dostojewsky, Tschekow und Gorki folgten. 

Ein Studium der zeitgenössischen arabischen Literatur wird erweisen, daß sie deutliche Spuren von Puschkin in sich birgt. Die Araber wurden in den 1880er Jahren zuerst mit dem Werk Puschkins
vertraut gemacht; entweder durch französische oder englische Übersetzungen, oder durch solche direkten Übertragungen, die von (christlichen) Studenten an der russisch-palästinensischen theologischen Schule (gegr. 1882) angefertigt wurden. 


Mehrheitlich wurden russische Prosatexte ins Arabische übertragen, da die russische Lyrik sehr schwierig zu übersetzen war. Die erste arabische Übersetzung Puschkins war dessen Novelle "Die Tochter des Kapitäns". Seit dem wurde Puschkins Name regelmäßig in literarischen, arabischen Veröffentlichungen genannt.

1945 wurde im Kairoer Verlag Dar al-Maarif eine Buch mit dem Titel "Puschkin: Prinz der russischen Dichtung" von Nadschaati Sidqi veröffentlicht. Mikha'il Na'ima, eine bekannte Figur aus der arabischen Literatur dieser Zeit, schrieb an den Autor in einem Brief, der dem Buch beigefügt wurde: "Ich freue mich für dich, daß du jene Aufgabe übernommen hast, die wegen meiner starken Beziehungen zur russischen Dichtung, eigentlich ich hätte übernehmen so llen. Ich wünschte ich hätte einiges davon in unsere Sprache übersetzt, damit sich deren Sprecher daran erfreuen könnten."

Mikha'il Na'ima war einer der ersten Araber, die im zaristischen Rußland studierten und wurde, wie in seinem Buch "Siebzig" beschrieben, sehr belesen in der russischen Literatur. In seinem Brief
an Sidqi merkt er an: "Die Tatsache, daß du das Russische gut kennst, steigert den Wert deiner Arbeit, da du dein Wissen von Originalquellen nehmen konntest." Sidqi studierte ebenfalls an der
Moskauer Universität. 

In seinem Vorwort spricht Sidqi von der Rolle und Bedeutung Puschkins in der Geschichte der russischen Dichtung: "Puschkin ist für die Russen, was al-Mutannabi für die Araber, Schakespeare für die Engländer, Dante für die Italiener und Goethe für die Deutschen ist. Er war eines der seltenen Geschenke seiner Zeit, und obwohl er nur bis zum Alter von 37 Jahren lebte, war er ein schöperischer Schreiber, der so viele Denkmäler an die Dichtung und die Literatur hinterlassen hat, daß seine Leser annehmen könnten, er hätte bedeutend länger gelebt."

Nadschaati Sidqi bezieht sich auf die Wirkungen der französischen und englischen Einflüsse, obwohl er sowohl im Charakter als im Geiste doch immer russisch blieb. Er wurde geprägt von der islamische Atmosphäre, die er bei Besuc hen auf der Krim und im Kaukasus vorfand und den dort gemachten Erfahrungen, die ihn zu vielen seiner Gedichte inspirierten.

Als ein Ergebnis der gescheiterten Verhandlungen zwischen den russischen Radikalen und dem mit Härte und Unterdrückung regierendem Zaren, überfiel Puschkin eine pessimistische Stimmung
und er fühlte sich abgetrennt von der Gesellschaft. Er spürte eine starke Trennung zwischen der Dichtung und dem Leben, zwischen Kunst und Sozialem. Trotzdem "vergaß er nie, daß er für die
Menschen schrieb und deshalb mußte Genauigkeit, Einfachheit und Klarheit se in Werk bestimmen."

Sidqi beschloß sein Buch mit Übersetzungen von "Der Prophet" und der "Talisman", welche beide das Aroma des Ostens mit seiner Wärme und seinem Zauber erschufen. 

Von allen arabischen Arbeiten über Puschkin ist Sidqis Buch besonders bedeutend, da es einerseits das erste zu diesem Thema war und andererseits der Autor in der Lage war, Originalmaterial zu
benutzen. Er war in seiner Arbeit objektiv und fre i von westlicher Kritik und gab seine Wahrnehmung der Zustimmung und Liebe zu Puschkin weiter.

In dem Buch "Personen aus der Geschichte: Von Sokrates zu Rasputin" von Prof. Ali Adham ist ein Kapitel über Alexander Puschkin enthalten. Während er Puschkin übersetzte, merkt er an: "Er
ist am schwierigsten von allen russischen Dichtern zu übersetzen."  Adham ist in bezug auf Puschkins Gedichten zuzustimmen, weil sein Stil erkennbar einfach ist und deshalb kompliziert zu reproduzieren ist. Jeder Übersetzer, unabhängig von seinen Fähigkeiten, wird deshalb wieder und wieder zögern, bevor er sich an einer solchen Aufgabe versucht. Daher wurden sehr wenige seiner Gedichte ins Arabische übertragen, während sein Prosawerk in vielen arabischen Ländern mehrfach herausgegeben wurde .  

Adham behandelt die typischen Eigenschaften von Puschkins Dichtung und dessen Charakter: "Puschkins Lyrik unterscheidet sich deutlich durch seine bestechende Einfachheit, seine unauffällige
Genauigkeit und Puschkins extreme  Sorge um die poetische Form. Seine Leser fühlen deshalb, daß er spontan schreibt ohne großen Aufwand. Er selbst war ein Mann voll Begeisterung, Leidenschaft
und Würde. In der Tat seine genauen und klar beschreibenden Gedichte offenbaren die Höhe seiner Leidenschaft und Stärke in den Motiven seiner Dichtung." 

Ein kürzlich veröffentlichtes Buch über russische Literatur ist "Eine Einführung in die Russische Dichtung des 20. Jahrhunderts" von Dr. Hajaat Sharaara und Dr. Muhammed Junis. Das Buch überblickt Puschkins Dicht ung und schließt in der Bestimmung des Weges, auf dem Puschkin mit dem Menschen seiner Zeit als Teil der Gesellschaft und der Ära umgeht.

Ein Vergleich mit diesem und früheren Artikeln von westlichen Kritikern zeigen auf, daß die ersteren Puschkins schöpferische Werke als Grundlage zur Untersuchung über den Hintergründe von Puschkins Leben und das seiner Ze it nutzen, um dessen Arbeit zu erhellen. Die westliche Literaturkritik hingegen macht das private Leben des Dichters zum Mittelpunkt des Studiums. Der schöpferische Aspekt nimmt nur den zweiten Platz in ihren Arbeiten ein und ist einer Unterschieden in der Methode der beiden Denkweisen.

Quelle: Islamische Zeitung, 24 Ausgabe

@ Ekrem Yolcu

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