Abbau
von Vorurteilen und Feindbildern durch vertieftes Wissen
über
die eigene Religion im Koranunterricht
Dr.
phil. Milena Azize Rampoldi
Für
mich gehört auch die Erziehung zum Abbau der Feindbilder wesentlich zur Korandidaktik im
deutschsprachigen Raum. In diesem Rahmen sollte die pädagogisch-didaktische Arbeit des
Koranlehrers/der Koranlehrerin vor allem das Ziel verfolgen, Kinder präventiv und nicht
nur reaktiv zur Toleranz zu erziehen.
Die
Prävention setzt nämlich an den Wurzeln von Radikalisierungsprozessen an und kann viele
Probleme der Zukunft lösen, wenn sie schon im Kindesalter effektiv umgesetzt wird. In
diesem Zusammenhang sei der Begriff der präventiven Pädagogik im positiven und
dynamischen Sinne gemeint, wie ihn zum Beispiel der Pädagoge Don Bosco auslegte und nicht
nur als negative Vorbeugung gesellschaftlich gefährlicher Verhaltensweisen der Intoleranz
gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen.
In
dieser Anschauung der Präventivpädagogik von
Don Bosco geht es vordergründig nicht darum, durch Prävention negatives Verhalten, in
unserem Falle Handeln nach Stereotypen und Vorurteilen bzw. Feinbildern, zu vermeiden.
Präventivpädagogik bedeutet stattdessen die Verstärkung positiver Verhaltensweisen der
Toleranz und Offenheit gegenüber der anderen Kulturen und Religionen durch entsprechend
positive Erfahrungen. Und diese positiven Erfahrungen können die Kinder in der eigenen
Koranklasse machen. Hier soll es schon zum Abbau der Feindbilder kommen, weil der kleine
Kreis der MitschülerInnen, die zwar alle muslimischen Glaubens sind, aber aus
verschiedenen Kulturen stammen, ein Labor für die positive tolerante Lebensweise der
Kinder in der deutschen Gesellschaft darstellen soll.
Koran
2:62
Immer
wieder zeigt sich, dass Fremdenfeindlichkeit und der Mangel an interkultureller und
interreligiöser Kompetenz durch unzureichende Erfahrungen und Kontakte zwischen Menschen
unterschiedlicher ethnischer und kultureller Herkunft und durch die ungenügende Reflexion
über die eigenen Vorurteile und Vorannahmen gefördert werden, wie auch die Geschichte
der Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen klar zum Ausdruck bringt.
Diesen
Ursachen der Vorurteilsbildung kann im Koranunterricht, in Zusammenarbeit mit der Schule,
Gemeinde und Gesellschaft, schon vom Kindesalter an, entgegengewirkt werden. Es ist daher
wichtig, Angebote interkulturellen und anti-rassistischen Lernens zu entwickeln und zu
fördern, die entsprechende Erfahrungen bzw. Kontakte auf gleicher Augenhöhe
ermöglichen, sowie dabei unterstützen, diese Erfahrungen zu verinnerlichen und
einzuordnen. Dies gilt zum ersten unter den Musliminnen und Muslimen verschiedener
kultureller und ethnischer Herkunft und dann auch für die gesamte Gesellschaft, in der
sich verschiedene Religionsgemeinschaften, Agnostiker und Atheisten zusammenfinden.
Die
zunehmend multikulturelle Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft ist durch eine
zunehmende Anzahl von Menschen, die verschiedene nicht-christliche und unterschiedlich
stark ausgeprägte religiöse Bindungen aufweisen, geprägt. Gleichzeitig verfügt die
einheimische Bevölkerung teilweise unzureichendes Wissen über die Religionen der
Einwanderer. Dies gilt vor allem für den Islam, der auch aufgrund der negativen
Darstellung in den Medien massiv missverstanden wird.
Dieses
Defizit gibt es aber auch in der muslimischen Gemeinde, wenn es um interkulturelle
Empathie unter Musliminnen und Muslimen geht. An der interkulturellen Begegnung innerhalb
der Ummah muss daher im Koranunterricht sehr intensiv gearbeitet werden.
Der
Korankurs in der Grundschule ist ein ideales Labor, um in diese Richtung zu arbeiten.
Interreligiöses Lernen und die Eingliederung interreligiöser Aspekte in das
interkulturelle Lernen sollen den Aufbau eines differenzierten Wissens und den Abbau von
Vorurteilen bzw. Feindbildern von Kindern mit unterschiedlichem, religiösem und
weltanschaulichem Hintergrund fördern.
In
diesem Sinne argumentiert auch Sanem Kleff in der Initiative Voneinander Lernen -
Praxisforum Schule und Islam, die ich hier als Beispiel anführen möchte, um
tolerantes Zusammenleben, aufgebaut auf Wissen, in die Praxis umzusetzen. In Kleffs Praxisbuch Islam im Klassenzimmer, Impulse
für die Bildungsarbeit geht es um die Bedeutung der Vernetzung zwischen
Korankurs und Schule und über den zentralen Wert der fachübergreifenden Erziehung. Die
Autorin zeigt auf, wie sich der Islam in den Fächern wie Deutsch, Geschichte oder sogar
Mathematik einbeziehen lässt. In der fachübergreifenden Arbeit in der Schule
kristallisiert sich erneut die Bedeutung des Koranlehrers/der Koranlehrerin als
VermittlerIn islamischen Wissens nicht nur in der eigenen Schulklasse, sondern auch im
LehrerInnenteam der gesamten Schule, um auch die Vorurteile von Lehrern und Lehrerinnen
der anderen Fächer gegenüber dem Islam konstruktiv abzubauen.
Abschließend
möchte ich zusammenfassend die Lernziele dieses Bereiches auflisten, die meiner Meinung
nach die Arbeit des Koranlehrers/der Koranlehrerin sei es im eigenen Unterricht, als auch
in der Team- und Vernetzungsarbeit, in beide Richtungen leiten sollten:
-
Die Wesensmerkmale von Vorurteilen und Feindbildern erkennen
-
Die gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, psychologische Bedingtheit von
Vorurteilen und Feindbildern erkennen
-
Die Ursachen für die Entstehung von Vorurteilen und Feindbildern kennen
-
Verhaltensfördernde und erhaltende Manipulationen und Meinungsbildungen erkennen
-
Erkennen, dass Vorurteile und Feindbilder den Denk- und Handlungsspiel-raum der Menschen
einschränken, wodurch häufig fruchtbare Alternativen des Dialogs und des Kontaktes
ausgeschlossen werden
-
Erkennen, dass Vorurteile und Feindbilder für die eigene Wahrnehmung als negative
Selektionsfilter wirken
-
Erkennen, dass eine schachförmige Weltanschauung eine Verzerrung der Wirklichkeit mit
sich bringt
-
Erkennen, dass Vorurteile und Feindbilder die Bereitschaft zu Diskriminierung, Gewalt und
Aggression steigern
-
Sensibilität gegenüber Unrecht, Missachtung und Gewalt als Voraussetzung für den Abbau
von Vorurteilen anerkennen
-
Erkennen, dass der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern zur Entideologisierung von
Konflikten dient und somit gewaltfreie Konfliktregelungen begünstigt
-
Die Bereitschaft, vorhandene Urteile einer kritischen Überprüfung zu unterziehen
-
Die Bereitschaft, Vorurteile und Feindbilder, die den Frieden behindern, abzubauen, z. B.
durch die Infragestellung bisher unreflektierter Einstellungen durch Feststellen von
Informationslücken, durch Informationsbeschaffung und kritische Analyse.
@ Ekrem Yolcu

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