Philosophisch-translationswissenschaftliche
Überlegungen
zur Bedeutung der Übersetzung
und ihres Einsatzes im Koranunterricht
Dr.
phil. Milena Azize Rampoldi
Ich
möchte diesen Artikel mit einer herausfordernden Fragestellung einleiten: Sind
ÜbersetzerInnen, in unserem Falle die KoranlehrerInnen, die im Unterricht Wörter und
Begriffe für ihre SchülerInnen übersetzen, ExpertInnen für interkulturelle
Kommunikation? Wie gehen sie mit dem islamischen Prinzip der Unübersetzbarkeit des Korans
um?
Die
Geschichte der Übersetzungswissenschaften in der islamischen Welt war und ist bis heute
dialektisch durch die Gegenüberstellung zwischen dem Dogma der Unübersetzbarkeit des
Korans und den sogenannten sinngemäßen Reproduktionen des Korans in den Muttersprachen
der Muslime und Musliminnen aus aller Welt gekennzeichnet. Gleichzeitig aber diente die
Übersetzung den Arabern stets als Mittel, um die anderen nicht-muslimischen Kulturen
kennenzulernen.
Der
italienische Arabist und Islamwissenschaftler Francesco Gabrieli betont in diesem
Zusammenhang die Bedeutung der Übersetzung als kulturelle Mediation im Zeitalter der
Abbasiden,
das ich hier, vor allem in Bezug auf Ibn al-Muqaffa, als Beispiel zitieren möchte.
Wenn
man diese Anschauung der Arbeit des Übersetzers bzw. der Übersetzerin auf den
Koranunterricht bezieht, so erkennt man klar und deutlich die Rolle des Koranlehrers/der
Koranlehrerin als interkulturelle MediatorInnen, wie sie der australische Sozialpsychologe
Robert Taft nennt, wenn er schreibt:
Ein
inter-kultureller Mediator ist die Person, welche die Kommunikation, das Verständnis und
die Interaktion zwischen Personen oder Gruppen erleichtert, die sich in Sprache und Kultur
unterscheiden.
Die
heutige Lehrperson hat somit im Koranunterricht die Aufgabe, sich instrumental der
Übersetzung zu bedienen, um das Verständnis des arabischen Korans zu fördern.
Wie
es Ibn al-Muqaffa zu seiner Zeit gelang, zwischen Indien, Persien und dem arabischen
Raum zu vermitteln, so hat heute der Koranlehrer/die Koranlehrerin die Aufgabe, das
dogmatische, geschichtliche, wissenschaftliche und sprachliche Erbe des Korans an die
Kinder zu vermitteln, indem er/sie im Klassenraum auch die Übersetzung in die
Muttersprache der Kinder als Mittel verwendet, um dieses Verständnis zu fördern.
Diese
Rolle des Übersetzers als Vermittler ist schon seit Beginn der islamischen Geschichte
präsent, da das Erbe der arabisch-islamischen Kultur im Bereich der
Übersetzungswissenschaften sehr bedeutend ist, wie anhand der Bespiele der Abbasiden und
Andalusiens klar wird.
Die
Araber erkannten früh die Bedeutung der Vermittlung durch die Überset-zung, um neue
Kulturkreise zu erschließen und sich fremdes Wissen anzueig-nen. Heute geschieht genau
das Umgekehrte: in einer europäischen Kultur wird der Islam gelehrt, der sprachlich
vermittelt werden muss, um ihn zu verstehen und kennen zu lernen.
Nun
möchte ich versuchen, den Begriff des Übersetzens näher zu definieren und
philosophisch zu hinterfragen, da er nicht einfach darin besteht, Wörter von einem
Sprachkodex in den anderen zu übertragen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff von
Marianne Lederer angebracht, die von neuer Kodierung spricht, wenn sie sich
auf das Übersetzen bezieht. Die Übersetzung beschränkt sich nicht einfach auf den
Übergang eines Wortes von einer Sprache auf die andere, sondern auf Übersetzungsmomente,
die das Ziel verfolgen, den Originaltext, seine sprachliche Form neu zu
verbalisieren und in einer anderen Sprache die Anschauung und die Emotionen auszudrücken,
die im Laufe dieses Prozesses verstanden und erfasst wurden.
Vor
allem im Falle des Korans, der im islamischen Glauben als göttliche Offen-barung in
arabischer Sprache gilt, sind diese Schritte wie die Deverbalisierung, die Vermittlung
zwischen Lektüre und neuer Formulierung einer semantischen Einheit im
Übersetzungsprozess notwendig, um das semantische und historisch-sprachliche Universum
des Korans an die Kinder weiterzugeben, die aus ver-schiedenen Kulturkreisen und
Sprachfamilien stammen.
Dies
kann nur erfolgen, wenn der Lehrer/die Lehrerin den Koran nicht nur als bloßes
Wörteraggregat, sondern als Sinnzusammenhang zu vermitteln versucht. Hier gilt auch das
Prinzip der Übereinstimmung trotz der Unterschiede zwischen dem Ausgangstext und dem
Übersetzungsversuch, wie es der russische Linguist und Literaturtheoretiker Roman
Jakobson definiert.
Im
Rahmen der LehrerInnenbildung kann es sehr nützlich sein, den Koranlehrern und lehrerinnen
die Theorie von Peter Newmark nahezulegen, wenn es um die Übersetzung von Begriffen und
Versen aus dem Koran geht. Dieser zeitgenössische Translationswissenschaftler aus England
unterscheidet zwischen semantischer und kommunikativer Übersetzung. Die erste verleiht
dem Ausgangstext, in unserem Falle dem Koran, die größere Bedeutung und behält, wo dies
möglich ist, seine semantischen und syntaktischen Eigenschaften bei. Diese Art von
Übersetzung verfolgt das Ziel, als umfassend, universell, einheitlich und fast
metahistorisch zu fungieren. Da der Koran aber auch historisch ist und
offenbarungsgeschichtlich verstanden werden soll, muss der Koranlehrer/die Koranlehrerin
auch die kommunikative und empirische Ebene der Koranübersetzung erfassen, mit der die
didaktische Zielsetzung auch erfüllt wird. Die meta-historische Übersetzung wird auf
eine höhere Ebene, die der interkulturellen Mediation erhoben, in deren Rahmen die
Prinzipien der Hermeneutik gelten.
Der
italienische Übersetzungswissenschaftler Gianfranco Folena
hat diesen Übergang anhand der Überwindung der mittelalterlichen Übersetzungstheorien
durch den Humanismus studiert. Im Falle des Korans geht es um die Überwin-dung der
Übersetzungen in den Kanzleien
und Übersetzungszentren der ara-bisch-islamischen Geschichte durch eine neue
hermeneutische Übersetzung des Korans.
Ich
möchte nun folgende Richtlinien anführen, an die sich die KoranlehrerInnen halten
sollen, wenn sie im Koranunterricht für die SchülerInnen Wörter oder Verse aus dem
Koran vor allem ins Deutsche übersetzen:
(1)
Die Lehrperson, welche die Übersetzung ausführt, muss die Quellsprache (d.h. das
Koranarabische) sehr gut beherrschen.
(2)
Sie soll auch die Zielsprache, in diesem Falle die deutsche Sprache, als erste und als
Zweitsprache die Sprache des eigenen Herkunftslandes (bei Lehrern und Lehrerinnen mit
Migrationshintergrund) sehr gut beherrschen, vor allem, um den Schülern und Schülerinnen
die semantischen und synonymischen Feinheiten des Offenbarungstextes vermitteln zu
können.
(3)
Ausgehend von der grammatikalisch-semantischen Ebene soll der Übergang auf die
rhetorische Ebene erfolgen. Die Lehrperson soll das stilistische und
ästhetisch-rhythmische Feingefühl besitzen, um die Koranverse auch als musikalische
Einheiten übersetzen zu können.
(4)
Die Offenbarungssprache muss die Lehrperson emotional und ästhetisch auch involvieren, um
sie in die Lage zu versetzen, diese Klangeinheiten den Kindern erfolgreich vermitteln zu
können.
Diese
idealistische Vision bleibt aber immer überschattet von den Worten des abbasidischen
Gelehrten al-Gahiz,
der von der Schwierigkeit der Übersetzun-gen aus dem Arabischen spricht und anführt,
dass der Sinn der Verse verloren geht, dass der Stil abhandenkommt und auch der Akzent
verloren geht, wenn man das Arabische in die Zielsprache überträgt.
Es
mag paradox klingen, aber gerade der Idealismus sollte die PädagogInnen und
KorandidaktikerInnen dazu führen, auch diese pessimistische Anschauung zu
berücksichtigen, wenn sie den Koran sinngemäß in eine andere Sprache zu übermitteln
versuchen. Positiv ausgedrückt, sollte im Sinne von Paul Valery Folgendes angestrebt
werden, wenn man sich der Übersetzung der Offenbarung sprachlich und emotional hingibt:
Die
Übersetzung soll nicht den Ausgangstext mit dem Zieltext vergleichen, sondern soll zum
Ort werden, an dem sich
zwei dynamische kreative Prozesse treffen.
Meiner
Meinung nach geht es in der Lehrerfortbildung darum, den Koranleh-rern und -lehrerinnen
klar zu zeigen, wie ein Idealismus auf der Ebene der theoretischen Philosophie und ein
anfänglicher Pessimismus im Bereich der Di-daktik paradoxerweise doch einen
pädagogischen Optimismus ganz im Sinne von al-Gahiz hervorbringen können, denn es geht
im Koranunterricht letztlich darum, den neuen Generationen die Wissenschaft und die
Offenbarung zu ver-mitteln.
In
diesem Sinne schlägt al-Gahiz auch eine Brücke zur zeitgenössischen Herme-neutik von
Martin Heidegger und Hans Gadamer. Gadamer schreibt über die Übersetzung sehr prägnant:
Die
Übersetzung ist immer eine Interpretation, man kann sagen, sie ist die Vollendung der
Interpretation, die der Übersetzer dem Wort gegeben
hat.
Übersetzung
heißt für mich in der pädagogischen Arbeit die dauernde Suche nach der Perfektion und
der konstante Versuch, der koranischen Wahrheit zu entsprechen. Der Korantext ist ein
Erzeugnis der Offenbarungsgeschichte, der verbalen Beziehung zwischen Allah (swt) und dem
Propheten Mohammad (sas) und den Musliminnen und Muslimen und muss daher wie nach Apel
geschichtlich-hermeneutisch verstanden und auch dementsprechend ausgelegt werden.
Die
KoranlehrerInnen haben auch die Aufgabe, den Koran in Europa korrekt zu vermitteln. Die
Verantwortung der KoranlehrerInnen besteht in diesem Bereich gerade darin, den Kindern den
Koran so zu vermitteln, dass eine fruchtbare Kultur des Dialogs und der konstruktiven
interkulturellen Kommunikation mit der Gastgesellschaft entstehen kann.
Was
sehr wichtig ist, wenn man von der notwendigen Übersetzung des Korans im Koranunterricht
spricht, ist es, diese als fachübergreifende Arbeit anzusehen, wie Friedmar Apel
im Allgemeinen von der Translationswissenschaft fordert. Die Sprache befindet sich in
einer dauernden Wechselbeziehung zum sozio-kulturellen Kontext, in dem sie sich befindet.
Dies gilt nach wie vor für das Ko-ranarabische in der dynamischen Realität der
zeitgenössischen pädagogischen Arbeit der KoranlehrerInnen im deutschen Sprachraum. Wie
Halliday
behaup-tet, bedeutet der schriftliche Text Kommunikation. Übertragen auf den Koran,
bedeutet das die Kontextualisierung der Offenbarungsgeschichte des Islam in der
multikulturellen Grundschulklasse von heute im deutschen Sprachraum.
Und
in diesem Kontext ist auch die Übersetzungsaufgabe der LehrerInnen ange-siedelt. Wie der
Ausgangstext des Korans semantische Werte vermittelt, so er-folgt dies auch über die
Übersetzung, die von den kleinsten semantischen Ein-heiten, den so genannten chunks,
wie sie Halliday so treffend nennt, ausgeht.
Ganz
im Sinne von George Steiner
gilt im Übersetzungsprozess nicht die Sprache als vordergründig, sondern die Geschichte
und die Kultur, in unserem Fall die koranische Offenbarungsgeschichte und die islamische
Kultur. Die Hermeneutik sollte eine ethisch-kommunikative Aufgabe erfüllen und sich der
koranischen Dimension des Anderen, der für die gläubigen MuslimInnen Allah (swt)
bedeutet, öffnen.
Diese
utopische Dimension der Übersetzung möchte ich immer als das Ideal im Gegensatz zur
Realität des Koranunterrichts vor Augen halten und nicht abtun, weil sie idealistisch und
unerreichbar ist, sondern sie gerade deshalb anstreben. Ich finde nämlich sehr wohl, dass
die Utopie nicht nur in Religion und Philosophie, sondern auch in Pädagogik und Didaktik
ihren ebenbürtigen Platz einnehmen sollte.
Vgl.
Gabrieli, Francesco: Storia della letteratura araba, Sansoni, Florenz 1967, S. 184.
In diesem Zusammenhang schreibt der Autor über: die unvergleichliche Bedeutung, die
sein Werk (das Werk des Ibn al-Muqaffa) im Bereich der interkulturellen Mediation
hatte, und als raffinierter Stylist im Rahmen der abbasidischen Kultur
Siehe
in diesem Zusammenhang den Beitrag von Robert Taft: vgl. Taft, Robert: The Role and
Personality of the Mediator, in: Bochner, Stephen: The Mediating Person:
Bridge between Cultures, Schenkmann, Cambridge 1982, S. 53.
Vgl.
dazu die Studie von Cassarino, Mirella: Traduzioni
e traduttori arabi dallVIII allXI
secolo,
Salerno Verlag, Rom 1998.
Siehe
hierzu: Tradurre, un approccio multidisciplinare, herausgegeben von M. Ulrych,
UTET, Turin 1998, S. 4: Die Übereinstimmung zwischen zwei verschiedenen Sprachen
entspricht nicht notwendigerweise der vollständigen Übereinstimmung des semantischen
Inhaltes, insofern als verschiedene Sprachkodexe ein und dieselbe außersprachliche
Realität auf eine verschiedene Art und Weise darstellen können. Dies gilt vor
allem, denke ich, wenn es um Offenbarungstexte geht.
Vgl.
hierzu die Monographie des Autors zum Thema: Folena, Gianfranco: Volgarizzare e
tradurre, Einaudi, Turin 1991.
Vgl.
dazu vor allem Übersetzungen im Bereich der Verwaltung und Kulturgeschichte im Zeitalter
von Harun al-Rashid. Über diese Übersetzungstechniken äußert sich der Historiker
Philipp K. Hitti Folgendermaßen: Im Falle zahlreicher schwieriger Textabschnitte im
Originaltext, wurde die Übersetzung wortwörtlich durchgeführt, und wo keine arabischen
Begriffe gefunden worden oder diese als unbekannt galten, wurden die griechischen Wörter
einfach durch Transliteration übernommen und irgendwie angepasst. Vgl. hierzu:
Hitti, Philipp K.: History of the Arabs from the Earliest Times to the Present, Macmillian,
London 1968, S. 311.
Vgl.
Al-Jahiz, Abu Uthman Amr Ibn Bahr al-Kinani al-Basri: Kitab al-bayan
wat-tabyin,
Matbaat
Lajnat at-Talif wa-t-Tarjama wa-n-Nashr, Kairo 1948, 4 Teile in zwei Bänden. Siehe
des Weiteren: Al-Jahiz, Abu Uthman Amr Ibn Bahr al-Kinani al-Basri: Kitab
al-hayawan, Matbaat wa Maktabat Mustafa al-Baba al-Halabi wa auladihi, Kairo
19651969.
Siehe
dazu: Tradurre, un approccio multidisciplinare, herausgegeben von M. Ulrych, UTET,
Turin 1989, S. 263.
Halliday,
M.A.K.: Language as Social Semiotics. The Social Interpretation of Language and
Meaning, University Park Press, Baltimore 1978, S. 29. Siehe des Weiteren: Halliday,
M.A.K.: System and Function in Language, (Herausgeber): G.R. Kress, Oxford
University Press, Oxford 1976, S. 47.
Vgl.
dazu sein Hauptwerk zu diesem Thema: Steiner, George: After Babel, Oxford
University Press, New York-London 1975.
@ Ekrem Yolcu

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